Lust auf etwas Ablenkung vom harten und bald wohl auch kalten Unialltag? Vielleicht ein kleiner, virtueller Ausflug in die Berge? Wer die dunklen Seiten der Schweizer Folklore erkunden sowie spannende Rätsel lösen möchte und sich zudem nicht vor der Begegnung mit alpinen Schreckgestalten scheut, liegt mit dem Indie-Game „Mundaun“ genau richtig.
Von Othmar F. C. Hofer
Auf der Alm, do gibt’s koa Sünd – oder doch?
Hochaufragende Berge, blühende Almwiesen und urige Einheimische – die Gegend rund um das Gebirgsdorf Mundaun scheint die besten Voraussetzungen für ein ruhiges und entschleunigtes Leben zu bieten. Der Protagonist des Spiels namens Curdin hat allerdings wenig Gelegenheit, die Natur rund um seinen durch eine dichte Nebeldecke vom Rest der Welt getrennten Heimatort zu genießen. Die Nachricht vom plötzlichen Tod seines Großvaters, welcher ihn anstelle der Eltern aufgezogen hat, ruft Curdin vom Talboden zurück an die Stätte seiner Kindheit. Ein erster Lokalaugenschein an Opas Heustadel, in dem dieser Opfer eines Brandes geworden ist, zeigt, dass hier etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zugeht. Nicht nur wurde der alte Bauer offensichtlich in der Scheune eingesperrt, es kommt dort auch noch zu der Begegnung mit einem mysteriösen Greis, von dem eine sinistre Ausstrahlung auszugehen scheint. Das anschließende Gespräch mit dem nervösen Dorfpfarrer Jeremias bietet dem immer skeptischer werdenden Curdin keine wirkliche Hilfe, denn es lässt weitaus mehr Fragen aufkommen als Antworten. Wie und wieso ist der Großvater wirklich gestorben? Was steckt hinter der unruhigen Geheimniskrämerei des Geistlichen? Wer ist der bedrohliche Alte mit dem vertrockneten Gesicht und was hat er mit dem Ganzen zu tun? Wenig später erweisen sich alle unguten Vorausahnungen noch als untertrieben, denn die hereinbrechende Nacht entfesselt eine tödliche paranormale Gefahr in Form von mysteriösen Heumännern. Dem verstörten Enkel, der spürt, dass er seinen Opa von einem alten Fluch befreien muss, bleibt nichts anderes übrig, als seine Angst zu bezwingen und sich durch die feindliche Nacht zum Haus seines verstorbenen Verwandten durchzuschlagen. Doch das ist nur der Anfang eines abenteuerlichen Alptraums. Im Laufe des Spiels gilt es nämlich, verschiedene Arten von Feinden mit unterschiedlichen Stärken sowie Schwächen zu überwinden, wobei manchmal der offene Kampf mit Heugabel oder Gewehr und manchmal geschicktes Schleichen oder halsbrecherische Flucht zum Erfolg führen. Welche Strategie gewählt wird, bleibt in weiten Teilen einem selbst überlassen. Fest steht nur, dass Curdin alles tun wird, um das unheilvolle Geheimnis zu lüften, welches Dorf und Großvater umgibt.
Vielseitiges Gameplay
Der Kampf gegen Monster stellt nur eine von mehreren Facetten von „Mundaun“ dar. Um in der Handlung voranzukommen, müssen an zahlreichen Stellen Rätsel gelöst werden. Da diese mitunter erfrischend unkonventionell ausfallen können, sind Kreativität, Kombinationsvermögen sowie Beobachtungsgabe gefragt. Details, welche im Kontext anderer Videospiele oftmals nicht mehr als schmückendes Beiwerk wären, können sich in diesem Indie-Game als entscheidend erweisen. Doch nicht nur das Rätselknacken erfordert Geduld, denn überall in der auf mehrere Karten aufgeteilten Welt von „Mundaun“ sind hilfreiche Gegenstände wie Kaffeedosen oder Militärhandbücher versteckt, die Curdins Statuswerte verbessern und ihn so zum Beispiel länger große Furcht verkraften oder schneller mit Feuerwaffen hantieren lassen. An dieser Stelle gleich eine Trigger-Warnung an militante Nichtraucherinnen und Nichtraucher: Sogar Großpapas alte Pfeife kann man schmauchen, so man denn irgendwo Tabak aufzutreiben vermag. Aufgelesene Objekte werden in praktisch-altmodischer Art in einem Tornister auf dem Rücken des Protagonisten mitgeführt. Und da es sich bei dem werten Curdin um einen ordnungsliebenden Zeitgenossen handelt – immerhin ist er ja Schweizer – werden Hinweise und Aufgaben in einem eigenen Journal festgehalten, welches sich in Windeseile per Knopfdruck öffnen lässt. Die naturgemäß oftmals angespannte Atmosphäre wird in regelmäßigem Abstand durch harmlose Missionen aufgelockert. So kommt bei der Heuernte mittels hochgebirgstauglichem Lastkraftwagen oder beim Ziegenstreicheln mitunter fast ein Flair von Landwirtschaftssimulator auf. Zu anderen Zeitpunkten gilt es, bestimmte Charaktere durch das Verabreichen einer ordentlichen Portion Schnaps zur Kooperation zu bewegen. Eine Vorgehensweise, die auch in der Realität bei verstockten Gebirgsbewohnern funktioniert, wie dieser Artikel zweifelsfrei beweist.
Ziemlich viel Kultur
Alle Gespräche im Game wurden auf Rätoromanisch synchronisiert. Dieser Umstand stellt ein Alleinstellungsmerkmal in der weiten Welt der Videospiele dar und sorgt für ein außergewöhnliches akustisches Erlebnis. Im Vergleich zu anderen Formen des Romanischen hat diese Zunge mit ungefähr einer Million relativ wenig Sprecher und Sprecherinnen. Zusätzlich sind unter dem Überbegriff Rätoromanisch die drei geografisch getrennten Idiome Bündnerromanisch (Kanton Graubünden), Ladinisch (Dolomiten) sowie Furlanisch (Friaul) zusammengefasst. Nach wie vor ist unter Wissenschaftlern strittig, ob die drei Dialektgruppen nah genug verwandt für eine Einordnung unter der Überbezeichnung Rätoromanisch sind. Gesichert ist jedoch, dass alle drei Varianten aus dem antiken Vulgärlatein hervorgingen. Durch die abgeschiedene Lage ihrer Zentren konnten sich Besonderheiten herausbilden sowie über lange Zeit erhalten. In der Schweiz gilt das Rätoromanische als Amtssprache und es existiert zudem ein eigener Radiosender für die Minderheitensprache. Bevor wir den linguistischen Bereich verlassen, ist zur Sicherheit noch festzuhalten, dass im Spiel automatisch zu jeder Sprachszene je nach Wahl deutsche oder englische Untertitel eingeblendet werden. Die Wenigen von uns, die keiner Form des Rätoromanischen mächtig sind, können also beruhigt sein und dem Plot von „Mundaun“ uneingeschränkt folgen. Wer sich für alpine Folklore interessiert oder sich einfach nur gern den einen oder anderen Perchtenlauf anschaut, wird ebenso auf seine beziehungsweise ihre Kosten kommen wie die Liebhaber und Liebhaberinnen seltener Sprachen. Die Anleihen aus dem reichen Vorrat an regionalen Sagen und Aberglauben wurden nicht nur zu Werbezwecken oberflächlich eingebaut, sondern sind auf überzeugende Weise in das Spiel eingewoben. Zusammen mit der rein in Schwarz-Weiß-Tönen gehaltenen Grafik, welche auf vom Entwickler selbst handgezeichneten Vorlagen basiert, entsteht eine besondere Stimmung, deren Sogwirkung man sich nur schwer entziehen kann. Apropos Entwickler: „Mundaun“ geht auf die siebenjährigen Mühen eines einzigen Künstlers namens Michel Ziegler zurück. Dieser Umstand mag zusätzlich zum einzigartigen Flair dieses Videospiels beitragen, da es deswegen wie aus einem Guss daherkommt. Mehr Indie geht eigentlich kaum.
Für jede(n) was dabei
Je weiter man sich in der Gestalt Curdins durch die schaurig schöne Alpenwelt kämpft, desto mehr Details aus der dunklen Vergangenheit des Dorfes kommen ans Tageslicht. Auf diese Weise stellt sich beispielsweise heraus, dass der Plot in einer alternativen Zeitlinie angesiedelt ist, in der die Eidgenossenschaft an einem der Weltkriege teilnahm. An entscheidenden Punkten der Handlung sind moralische Entscheidungen zu treffen, welche den weiteren Fortgang der Handlung beeinflussen. Auf diese Weise existieren mehrere Enden für das Spiel, je nachdem welche Wahl getroffen wurde. Jene plottechnischen Wegkreuzungen sind jedoch aufgrund der beschränkten Kapazitäten des Einmannentwicklers relativ rar gesät, weswegen man sich von diesem Element nicht allzu viel erwarten sollte. Nichtsdestoweniger besteht durchaus ein beträchtlicher Wiederspielwert, zumal auch verschiedene Achievements wie etwa die Auszeichnung „Pazifist“ erreicht werden können. Für geübte Gamerinnen und Gamer dürfte das komplette Durchspielen mit verschiedenen Handlungsverläufen an die neun Stunden in Anspruch nehmen. Für den ersten Durchlauf lassen sich wohl etwa zwei bis drei Stunden veranschlagen. Die Geschwindigkeit ist im Endeffekt aber jedem und jeder selbst überlassen. Faktum ist, dass das Spiel Zeit braucht, um seine volle Wirkung zu entfalten. Aus diesem Grund kann der virtuelle Trip durch die Schweizer Berge manchmal etwas eintönig wirken. Die Betonung liegt hier jedoch auf „manchmal“, denn es handelt sich sicher nicht um einen jener berüchtigten sinnentleerten „Walking-Simulators“. Sowohl eingefleischte Fans von Indie Games, als auch GelegenheitsspielerInnen dürften mit „Mundaun“ zufrieden sein. Der Horror im Werk Zieglers ist von vergleichsweise subtiler Natur und entsteht weitestgehend durch geschickte Inszenierung der Situation. Jumpscares sind die absolute Seltenheit und Splatter-Elemente fehlen völlig, was das Game ebenso für Leute interessant machen kann, die sonst einen Bogen um Horrorspiele machen. Dennoch gilt: Alle Angaben ohne Gewähr! Für etwaige nächtliche Malheure wird keine Haftung übernommen. Die Hartgesottenen hingegen, die sich für das Genre begeistern, können eigentlich gar nichts falsch machen, wenn sie zu dem monochromen Meisterwerk greifen. „Mundaun“ ist für den PC via Steam und Epic erhältlich. Im Konsolenbereich kann man mit PS4, PS5, Nintendo Switch und Xbox One sowie Series X/S durch die schwarz-weiße Schreckenswelt streifen. Die Preise liegen in der Regel zwischen 15 und 20 Euro.
Abschließend lässt sich sagen, dass es sich bei „Mundaun“ um ein liebevoll und intelligent gestaltetes Spiel handelt, welches gekonnt Rätsel und Horror verbindet. Angereichert wird das Ganze durch die vielfältigen Bezüge auf regionale Mythen und eine gute Prise an Action sowie Humor. Der einzigartige Kunststil trägt sein Übriges zur speziellen Faszination dieser Perle der elektronischen Unterhaltung bei. Übrigens stand eine gleichnamige reale Gemeinde im Kanton Graubünden für das Videospiel Pate. Wer sich also auf sein ganz eigenes schaurig-schönes Abenteuer machen will und zufällig eine Heugabel zu Hause hat, kann gern sein/ihr Glück versuchen. So spart man sich zumindest teure Fernreisen – Warum in die Ferne schweifen, wenn der Horror liegt so nah.
Infobox:
- Die Seite zum Spiel: https://www.mundaungame.com
- Weitere Informationen zum Rätoromanischen finden sich unter anderem im von Herrn Prof. Dr. Goebl geleiteten Archiv innerhalb der Unibibliothek und auf dessen Homepage: https://www.sbg.ac.at/rom/people/prof/goebl/goebl.htm
- Dank für die Hilfe bei der Recherche gebührt: Brandon Giacobbe (Videospielberatung) und Dr. Daniela Bähr (Fachbereich Romanistik)