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Von Tom Trülülü 

Wenn Liyanas mittäglicher Besuch, die nette Bibliothekarin Friederike, die kurz die Stadtbibliothek schließt, um in Mittagspause zu gehen, sich durch ein Türklingeln ankündigt, versteckt Liyana alle Instrumente zur Beschattung ihres Nachbarn, Herrn Gustav Krötchenwohl. 

Die Gucklöcher in der Wand bekommen Gemälde von friedlichen Segelbooten, mildem Obstglanz und gepflügten Herbstfeldern vorgeschoben. Röhren und Verstärker zur Gesprächsüberwachung werden in den Kommodenschubladen verstaut. Die Pinnwand mit Schnappschüssen von Krötchenwohl, ausgeschnittenen Zeitungsartikeln und dazwischen gespannten, mehrfarbigen Fäden wird auf die Rückseite gewendet, wo Liyanas harmlose Einkaufslisten, Kindheitsfotos und Postkarten aus fernen Ländern an den Pinnnadeln schaukeln. 

Wenn dann Friederike die zwei Stockwerke hochgeschnauft ist, stehen Rotbuschtee und Vanillekekse angerichtet auf dem dunkelhölzernen Klapptisch samt der auf dem zweiten bepolsterten Bugholzstuhl lehnenden Liyana, deren Blick durch das breite Bullaugenfester die schneidescharfen Julisonnenstrahlen hindurch auf der gegenüberliegenden Stadtbibliothek liegt. 

„Ich schwitz bei der Höllenhitze alle halbe Stunde ganze Hallenbadvolumina!“ 

„Du Arbeitstier, wie hältst das aus den ganzen Tag hinter der Glasfront?“ 

„Verzieh mich bei Besucherebbe schnell hinter Bücherregalschatten.“ 

„Hitzezuschlag eigentlich?“ 

„Bin ich Bauarbeiterin und bau den Glaskasten gerade auf?“ 

„Ja, naja, trotzdem. Was liest heute wieder?“ 

Nach einer kräftigen Welle aus ihrer Tasse den Rachen hinab, das Teevolumen darin locker halbiert, streckt ihr Friederike das orange Taschenbuchcover vor Nase und Nickelbrille. 

„Geht um Morsecodes und wie ineffizient das jetzige System ist, hält die Handlung zusammen von der Privatdetektivin, die hat im Übrigen etwas von deinen Charakterzügen, die soll so ’nem Raketenunternehmer nachspüren, warum weiß ich noch nicht, vielleicht Ehekram, landet dabei jedenfalls als blinde Passagierin auf ’nem Suborbitalflug, das Ganze geht schief, der Flugkörper trifft platsch im Pazifik auf und sinkt den Aleutengraben runter, dann hat sie mit einer von der Besatzung was, aber unten angekommen entdecken sie, dass sich Amerikaner und Sowjets in der ganzen Finsternis schon gegenseitig versuchen den Schädel einzuprügeln und jetzt wird gerade der Sauerstoff an Bord dünn. – Legt der Gustav eigentlich einen privaten Ozean an oder was?“ 

Der Abprall der Wassermassen an den Fliesen und die Gurgellaute des Abflusses setzen sich durch die dünnen Nachbarwohnungswände in den angrenzenden Räumen und Liyana und Friederike in den Ohrmuscheln als Hintergrundgeräusche nieder.  

„Der duscht nach dem Aufstehen immer bis in alle Ewigkeiten heiß, heute hat er wohl verschnarcht und ist spät dran.“ 

Das Duschwasserrauschen nebenan setzt aus und Föhngeheul ein, danach Stille. 

„Wie geht’s dem und seiner Entomologie? Kann er schon Spinnenbeine auf menschliche Größe potenzieren oder quellen aus seinen Schulterblättern zumindest Fruchtfliegenflügel?“ 

„Letztens ein halbes Dutzend Kakerlaken über meine Schlapfen gelaufen, als ich das Stiegenhaus raufgeklommen bin. Muss dem wirklich eintrichtern, dass er nicht alle seine insektoiden Experimentierobjekte einfach so vor seiner Wohnungspforte aussetzen kann, sobald er Interesse an ihnen verliert.“ 

„Ob der auf dich hört, nachdem…“ 

„Garantiert nicht, kann mich nicht ausstehen. Dem sind alle suspekt, die zu wenig nach Käfer oder Schabe riechen.“ 

Friederike schmunzelt und wirft Zuckerquadrate in den Rotbuschtee nach, aber dass Gustav mehr als ein harmloser Spinner ist, das nimmt sie Liyana, die darüber seit Wochen Predigten hält, nicht ab. 

„Immerhin hast du einen interessanten Nachbarn, ich muss mir den Wohnblock mit lauter schwerfälligen Fossilien teilen, die bei der niedrigsten Musiklautstärke glauben, Fliegeralarm samt Weltkrieg stimmen an.“ 

„Der Krötchenwohl hat was Krummes vor, ich sagte dir ja schon…“ 

„… jaja, mehrmals von dir vernommen, was für ein Superganove der Gustav ist. Glaubst du nicht, seitdem du bei dem Lebensversicherungsbüro gekündigt hast und leeres Kalenderblatt nach leerem Kalenderblatt runterreißen musst, du dir Alltagserlebnisse ein wenig aufthrillerst?“ 

„Nein! Hör mal…“ 

„Du spürst dem doch nicht immer noch nach, oder?“ 

„Äh… nein, aber…“ 

„Hoffentlich! In eine Obsession zu geraten, hilft dir nicht unbedingt beim Jobfinden. Ich muss jetzt los, die Bücherwürmer warten. Danke für die Verpflegung, du seist tausendfach gesegnet und millionenfach umarmt, ich nehme mir ein paar Stücke Backware als Proviant für meine Nachmittagsschicht.“ 

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