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Mit Hörspaziergängen auf widerständigen Wegen durch Hallein. Das Projekt „Orte des Gedenkens“ thematisiert verschiedene Facetten des Widerstands in allen Salzburger Bezirken. Mit Kunstprojekten, historischer Aufarbeitung und Vermittlungsprogrammen werden die Bewohner*innen miteingebunden.

Von Stefanie Ruep

Agnes Primocic hatte Mut. Die Arbeiterin aus der Tabakfabrik befreite im April 1945 kurz vor Kriegsende 17 Gefangene, die erschossen werden sollten, aus dem KZ-Außenlager in Hallein. In einer Rotkreuzuniform suchte sie den Kommandanten des Lagers auf, um ihn zur Freilassung der Häftlinge zu bewegen – mit Erfolg. Die Männer wurden verschont. „Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht“, war Agnes Primocic Devise.

Die Mutter dreier Kinder engagierte sich für die Rote Hilfe, eine im Untergrund agierende Hilfsorganisation für die Familien von politisch verfolgten Linken. Wegen ihres Engagements wurde die Kommunistin von der Gestapo mehrfach verhört und inhaftiert. Da sie von ihren Mitstreiter*innen jedoch nie verraten wurde, kam sie wieder frei und nicht ins KZ. Primocic leistete nicht nur einmal Fluchthilfe. Bereits im Sommer 1943 verhalf sie dem späteren Organisator der Widerstandsgruppe Willy-Fred, Sepp Plieseis, aus dem in Hallein befindlichen Nebenlager des KZ Dachaus zu flüchten. 

 Agnes Primocic in einer Sanitäterinnenuniform des Roten Kreuzes. (Fotocredit: Privatarchiv)

Am 13. Mai 2023 wird in Primocics Heimatstadt in Hallein ein temporärer Erinnerungsort für die couragierte Frau und den Widerstand gegen das NS-Regime eröffnet. Diese Aktion ist ein Teil des Projekts „Orte des Gedenkens“, das von der gleichnamigen Arbeitsgemeinschaft geleitet und im Auftrag des Landes Salzburg umgesetzt wird. Im Projektteam sind die Kunsthistorikerin Hildegard Fraueneder und die Historiker Albert Lichtblau und Robert Obermair. Ziel ist es, in jedem politischen Bezirks Salzburg ein Gedenkprojekt für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus umzusetzen. Das Konzept beruht auf drei Säulen: der historischen Aufarbeitung, den künstlerischen Interventionen und einem begleitenden Vermittlungsprogramm. Dazu gehören auch öffentliche Veranstaltungen und Diskussionsabende sowie Workshops an Schulen. Die Arbeitsgemeinschaft arbeitet in Hallein eng mit dem Keltenmuseum Hallein und der Stadt zusammen. 

Bei der Einwurf-Aktion des Künstlers Bernhard Gwiggner wurde der Gewaltakt der Nazis erfahrbar gemacht

Den künstlerischen Wettbewerb gewann die gebürtige Halleiner Künstlerin Kathi Hofer. Sie setzt sich in ihrer Einreichung „Unterwegs mit Agnes Primocic“ mit der Mobilität einer Frau auseinander, die immer in Bewegung war. Die Widerstandskämpferin, die selbst nie ein Fahrzeug hatte, erhält ein künstlerisch gestaltetes Auto, das als mobile Landmarke auf relevante Gedenkorte hinweist. Gleichzeitig wird es Hörspaziergänge durch Hallein geben, die angeleitet von Gefährt*innen auf den Spuren von Primocic durch die Stadt führen.

Nach Kriegsende zog die Widerstandskämpferin für die KPÖ in den Halleiner Gemeinderat ein. Als Pensionistin engagierte sie sich als Zeitzeugin und besuchte Schulklassen, um die Erinnerung wach zu halten. Die Halleinerin wurde 102 Jahre alt und verstarb im April 2007. „Die Zeitzeugin Agnes Primocic war weit über die Ortsgrenzen hinaus bekannt. Sie trat resolut mit viel Überzeugungskraft auf und stellte immer wieder sehr direkte Fragen an die Menschen, die ihr begegneten“, sagt der Historiker Albert Lichtblau. „Viele kannten sie in Hallein noch persönlich, aber für die jüngeren Generationen ist sie lediglich aus Erzählungen bekannt, wenn überhaupt.“ Das Projekt soll dabei helfen, die Erinnerung an sie und das Wirken des Widerstandes in Hallein zu erneuern.

Agnes Primocic war bis ins hohe Alter als Zeitzeugin aktiv und besuchte auch Schulklassen, um die Erinnerung wach zu halten. (Fotocredit: Privatarchiv)

Eingeschlagene Fenster als Kunstaktion

Hallein ist bereits die zweite Gemeinde, in der ein temporäres Kunstprojekt im Rahmen von „Orte des Gedenkens“ entsteht. Im Vorjahr wurde in der Flachgauer Gemeinde Neumarkt am Wallersee ein Jahr lang der Widerstand gegen das NS-Regime thematisiert. Im Zentrum der biografischen Aufarbeitung standen dabei der Fleischhauer und Gastwirt Georg Rinnerthaler und sein Sohn Johann. Am 12. März 1938, dem Tag des österreichischen „Anschlusses“ an NS-Deutschland, wurden Vater und Sohn verhaftet und für ein Jahr im KZ Dachau interniert. In der Nacht ihrer Rückkehr nach Neumarkt im März 1939 schlugen örtliche Nationalsozialist*innen 51 Fenster ihres Hauses ein.

Diesen Gewaltakt machte der bildende Künstler Bernhard Gwiggner mit seiner Kunstaktion „Einwurf“ erfahrbar. Die Bewohner*innen von Neumarkt wurden aufgerufen, extra angefertigte Fenster mit Steinen einzuwerfen. Wobei jede*r einmal die Position der Täter*innen und der Opfer – also einmal vor und hinter der Glasscheibe – einnehmen musste. Bei begleitenden Schulworkshops schlüpften Jugendliche in die Rolle von Historiker*innen und arbeiteten mit Reproduktionen von Dokumenten und Fotografien die Biografie der Rinnerthalers auf.

Der Arbeitsgemeinschaft „Orte des Gedenkens“ ist es wichtig, in der Zusammenschau der sechs Bezirke Salzburgs unterschiedliche Aspekte des Widerstands zu thematisieren. Nach dem christlich-sozialen Georg Rinnerthaler in Neumarkt am Wallersee soll dem Widerstand der Frauen Rechnung getragen und das politische Milieu der Linken bzw. Kommunist*innen berücksichtigt werden. 

Im kommenden Jahr wird der dritte Ort des Gedenkens im Pongau entstehen. Dort werden die Fluchthelfer*innen des Anführers der Goldegger Deserteursgruppe rund um Karl Rupitsch thematisiert. Das Ehepaar Alois und Theresia Buder sowie Kaspar Wind waren an seiner Flucht beteiligt. Das Ehepaar beherbergte Rupitsch einige Tage in ihrer Wohnung, nachdem Freunde ihn aus dem Gefängnis befreit hatten. Alois Buder brachte ihn dann mit seinem Lastwagen nach Taxenbach. Alois und Kaspar wurde im Oktober 1944 gemeinsam mit Karl Rupitsch im KZ Mauthausen hingerichtet. Theresia Buder verstarb kurz vor Kriegsende im Februar 1945 im KZ Ravensbrück. Im Herbst 2023 soll der künstlerische Wettbewerb in St. Johann starten. 

Mehr Infos zum Projekt: www.ortedesgedenkens.at

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