Ein großer Platz voller Verführungen
Schloss Hellbrunn. Ein festlich erleuchteter Weihnachtsmarkt. Überall hängen Lichterketten, am Ende ein geschmückter Baum, beachtlich hoch. Der Geruch von gebrannten Mandeln und Glühwein liegt in der Luft. Stände mit handgefertigten Geschenken, bunten Weihnachtsdekorationen und köstlichen Leckereien säumen den Weg. Miteinander plaudernd und lachend genießen die Menschen die Stimmung.
Mephisto: (zwinkert) Hier häufen sich die Seelen! (lacht) Hier ist was los! Seht doch, wie sie eilen, in schimmerndem Konsum verloren. Was suchen sie wohl?
Student: Vergnügen. Ich selbst komme gerne für eine Tasse Glühwein her und gern auch für einen ausgewogenen Spaziergang durch die belebte Atmosphäre.
Mephisto: Wieso gerne? Was schafft dir Freude?
Student: Deinen Worten, muss ich sagen, wohnt etwas Seltsames inne.
Mephisto: Klar lässt dich mein Sprechen zweifelnd schauen. Ich bin ein Geist, der stets verneint.
Student: Du bist ein Geist, der stets verneint. Doch merke auf: das Leben ist mehr. Ja, wir leben in einer Welt voller Widersprüche, voller Fehler und Unvollkommenheiten. Aber ist das nicht gerade der Punkt? Ist es nicht der stetige Versuch, das Unvollkommene zuzulassen, die Fehler zu verstehen und daraus zu lernen, der uns menschlich macht? Man bekommt stets ein Ideal vorgesetzt, aber im Hintergrund läuft das Leben anders.
Mephisto: (überrascht) Ein sehr philosophisches Zeugnis hier für einen Weihnachtsmarkt! (schaut auf das Buch) Ein wenig wie Faust, der am Osterspaziergang nach dem Sinn des Lebens sucht – aber dafür bist du zu unreif! Dafür bist du zu wenig ambivalent.
Student: (mit gerunzelter Stirn) Zu unreif? Suchst du nach älteren, weltgewandteren Seelen? Suchst du wie in der Geschichte nach dem Konflikt zwischen weltlichen Freuden und der Erlösung? (berührt das Buch)
Mephisto: (gibt ihm das Buch) Nicht mehr, nicht länger.
Student: Sag mir: Soll der Mensch am Ende doch seiner inneren Sehnsucht nachgehen? Soll er das Gefühl des Genusses ausreizen?
Mephisto: (atmet langsam aus) Du denkst sehr vereinfacht. Wer meint, auf solch weisheitsgebundene Fragen klare Antworten zu finden, der ist gefangen im Wahn der Naivität.
Der Student vertieft sich ins Buch.
Mephisto: Könnte ich mein Buch wieder haben?
Student: Doktor Faust.
Mephisto: Ja.
Student: (bedacht) Mephisto bietet Faust keinen höheren Sinn an, sondern lediglich ein Leben voller Erfahrungen, das letztlich leer und ohne dauerhaften Wert ist. Der berühmte „Pakt“ ist ein Symbol für die Verzweiflung des Menschen, der in einer Welt ohne objektiven Sinn nach Erfüllung strebt.
Mephisto: (überlegt) Ja, ja. Mephisto hat am Ende des Tages Faust das Ideal vorgespielt. Auch der große Faust ist nur einer, der im System lebt.
Student: Nein, Faust war jemand, der die gesamte Palette des Lebens schmecken wollte. Das macht ihn zu einer besonderen Seele. Das macht uns alle zu besonderen Wesen hier auf diesem Erdball.
Mephisto: Du bist doch nicht ernsthaft der Meinung, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist? (schüttelt Kopf) Der Mensch ist ein Sklave seiner selbst; siehst du das nicht? Er ist letztlich nur eine Ansammlung von Fehlern auf der Jagd nach einem burlesken Sinn, den es nicht gibt.