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Mindestens 15 Menschen aus Salzburg, darunter einige Studierende, waren im Jänner bei den Aktionen gegen die Abbaggerung des Ortes Lützerath (Nordrhein-Westfalen) und der darunter liegenden Braunkohle dabei.

Die studentische Klimabewegungsorga Erde Brennt, die im letzten Jahr Teile des Uni-Parks besetzt hat und über die wir ausführlich in der letzten Ausgabe berichtet haben, unterstützte den Protest aktiv. In einer Presseaussendung gaben sie die Einschätzung ab, dass diese Zerstörung „ein Symbol dafür [sei], wie die Profitinteressen von Unternehmen [wie jene des Energiekonzerns NRW; Anmerkung] über das Wohl von Menschen gestellt werden“.

Jona und Wali waren dabei und haben mir einige Fragen zu diesen Ereignissen und zentralen Positionen beantwortet.

Von Georg Pidner

Ihr wart beide in Lützerath. Was habt ihr dort erlebt? Welche Eindrücke habt ihr von dort mitgenommen?

W: Da könnte mensch glaube ich ganze Bücher darüber schreiben. Mir fällt es schwer, das auf einige Eindrücke zu reduzieren. In der Zeit in Lützi, vor allem während den Tagen der Räumung im Januar, hatte ich die emotionalsten Erlebnisse, sowohl im positiven als auch im negativen Sinn. Unglaublicher Mut, Zusammenhalt, Solidarität und Rücksichtnahme auf der einen Seite, aber auch das Gefühl von erdrückender Macht, Gewalt und Zerstörung, die mich bis heute absolut fassungslos macht.

J: Mir ist es sehr wichtig dass wir, wenn wir über Lützerath sprechen, nicht nur an die Räumung denken. Das Dorf war so viel mehr als ein Fleck Erde mit einem Haufen Kohle darunter, auf den sich eine Gruppe Menschen gesetzt hat um zu verhindern, dass diese abgebaggert und verfeuert wird. Es war auch ein Platz, an dem Menschen zueinander und zu sich selbst gefunden haben, an dem Personen ein Zuhause finden konnten, die sonst nicht ins System passten. Eine Kreativwerkstatt für gesellschaftliche Visionen und solidarisches Zusammenleben. Diesen Ort leben zu sehen war im gleichen Maße wunderschön wie auch schrecklich, seine Zerstörung mitzuerleben. Es bleiben unbeschreiblich eindrückliche Bilder: Eine Abbruchkante am Rande des unvorstellbar großen, toten Lochs namens Garzweiler 2, ein Schaufelradbagger, mit die größte Maschine der Welt, der unaufhörlich mehr Land frisst, im Hintergrund Windräder, die bald abgebaut werden um der Kohle Platz zu machen, mehrere Hundertschaften Polizei, die das Fortschreiten dieser Zerstörung sichern, und all die Menschen, die das nicht mehr akzeptieren können.

Wir sprechen hier nicht nur über Energiesicherheit, die 1,5° Grenze, die Deutschland hier wegbaggert, und eine Klimakatastrophe. Wir sprechen auch von der Enteignung und Vertreibung von Personen durch den Energiekonzern RWE, und einen Staat, der die Exekutive einsetzt um die Profite dieses Konzerns zu sichern anstatt die Menschen vor ihm zu schützen.

Wie viele Menschen aus Salzburg waren dort?

J: Ich weiß von etwa 15 Personen, die Anfang dieses Jahres nach Lützi gereist sind. Es kann aber durchaus sein, dass noch mehr Menschen aus der Region vor Ort waren mit denen wir aber keinen Kontakt hatten.

W: Und über die letzten Jahre waren viele Menschen von hier auch immer wieder und für längere Zeiträume in Lützi. Es ist wichtig, wie wir am Anfang auch schon erwähnt haben, die Geschichte dieses Ortes nicht nur auf die Ereignisse der letzten Wochen zu reduzieren.

Was sagt ihr zur Polizeigewalt?

W: Es ist immer wieder erschreckend, welches Ausmaß an Gewalt gegen Menschen eingesetzt wird, die im Grunde nur für das Leben und eine bessere Welt kämpfen. Ich möchte hier gar nicht ins Detail gehen, weil ich das Menschen gerne ersparen möchte. Und es gibt genug Aufnahmen im Internet, vor allem von der Großdemo am Samstag. Auf jeden Fall konnte mensch in Lützi wieder einmal erleben, dass willkürliche Repressionen und unvorhersehbare Gewaltausbrüche leider beliebte Mittel sind, um Menschen psychisch unter Druck zu setzen und ihren Widerstand zu brechen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir in der Bewegung solidarisch zusammenstehen, aufeinander aufpassen und gemeinsam zeigen, dass wir uns durch solche steinzeitlichen Methoden nicht einschüchtern lassen.

J: Die Bilder von der Großdemo am Samstag sind um die Welt gegangen, aber auch während der Räumung, in den letzten Jahren und in vielen anderen Kontexten ist die Gewalt, die vom Staat ausgeht, ein ständiges Problem. Der harte und gewaltvolle Einsatz gegen die Aktivisti in Lützerath war kein Einzelfall. Strukturelle Gewalt und Diskriminierung sind in dem System Polizei tief verwurzelt, meist erfährt die breite Öffentlichkeit nur nicht so viel davon wie hier. Wir alle müssen uns mit der Polizei kritisch auseinandersetzen, ihre Macht hinterfragen und über Alternativen nachdenken.

© mos_imagery

Lützerath wurde, so das Narrativ aus Teilen der Klimabewegung, in einer Vereinbarung zwischen Bundeswirtschaftsminister Habeck, NRW-Landeswirtschaftsministerin Neubaur (beide B90/Grüne) und dem Energiekonzern RWE geopfert. Wie seht ihr solche Kompromisse zwischen Staat und Kapital?

J: RWE erzielt Rekordgewinne, während wir alle die enormen finanziellen wie auch ökologischen Kosten einer seit Jahrzehnten überholten, fossil-kapitalistischen Energiewirtschaft tragen. Anstatt diesen Missstand anzuprangern, sich zu fragen wie wir überhaupt in diese Situation gekommen sind und sie zum Anlass zu nehmen RWE abzustrafen, zu enteignen und eine Vergesellschaftung der Energieversorgung anzustoßen, wird die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen weiterhin vom Staat subventioniert und durch die Polizei verteidigt, während Politiker*innen uns lächelnd raten kalt zu duschen.

W: Und Großkonzerne haben per sé so viel Macht, dass sie Politiker*innen enorm unter Druck setzen können und ihre Interessen so gegen die Interessen der Allgemeinheit auch politisch durchsetzen können. Auf der anderen Seite gibt es, und das ist gerade in NRW deutlich erkennbar, viele Politiker*innen, die persönlich mit diesen Konzernen verstrickt sind, sei es durch Positionen in Aufsichtsräten, durch Anteile an den Unternehmen oder schlicht durch Bestechung. So profitieren die Mächtigen in Politik und Wirtschaft beidseitig davon, wenn sie sich gegenseitig in die Hände spielen, während die Interessen der Mehrheit nicht beachtet werden. Das ist aber kein Missstand, der sich in diesem bestehenden Machtgefüge aufheben lässt, sondern eine immanente Dynamik des politischen und wirtschaftlichen Systems, in dem wir leben. Solange Unternehmen und die Gesellschaft den Zwängen des Kapitalismus unterworfen sind, wird sich daran auch nichts ändern, denn finanzielle Macht bedeutet in unserer Welt auch immer politische Macht, und politische Macht erlaubt auf der anderen Seite profitablere Geschäfte. Solche Deals sind also nichts Verwunderliches, und wir sollten uns auch nicht einreden lassen, dass der Staat derartige Absprachen im Interesse der Bevölkerung trifft. Da wird mit ganz anderen Zielen jongliert.

J: Und vor wenigen Tagen wurde der neue IPCC Bericht veröffentlicht und bestätigt wieder klarer denn je: Wir haben keine Zeit mehr für solchen Scheiß!

Wie steht ihr beide persönlich zur parlamentarischen, repräsentativen Demokratie? Kann die Klimafrage in ihrem Rahmen solidarisch gelöst werden?

J: Eine sogenannte Klimafrage wirklich nachhaltig zu lösen ist untrennbar mit der Lösung einer sozialen Frage verknüpft. Um in eine Welt zu gelangen, in der ein gutes Leben für alle, eine Sicherheit für nachfolgende Generationen und ein überlebbares Klima möglich sind, müssen wir unser kapitalistisches Wirtschaftssystem überwinden und unser Leben radikal neu denken. Mit Sicherheit wird das eine Zerreißprobe für die Gesellschaft und eine Herausforderung für die Klimagerechtigkeitsbewegung. Bedenkt mensch aber, wo wir uns hinbewegen, wenn wir weiterhin immer mehr Macht an Kapital und Konzerne knüpfen, sehe ich hierin die deutlich größere Gefahr für demokratische Grundprinzipien.

W: Es ist für mich auf jeden Fall offensichtlich, dass es in der Form, die unser politisches System gerade hat, nicht funktioniert. Und ich würde auch behaupten, dass wir weit von einem wirklich demokratischen System entfernt sind. Es ist in der Realität nun mal nicht so, dass alle Menschen ein Mitbestimmungsrecht haben oder die Meinung jeder einzelnen Person gleich viel zählt. Das fängt schon damit an, dass Millionen von Menschen gar kein Wahlrecht an dem Ort haben, an dem sie leben, sei es, weil sie einfach zu jung sind oder ihnen irgendwelche Papiere fehlen oder sie die falsche Staatsbürgerschaft haben.

© mos_imagery

Hat Lützerath etwas an euren früheren Positionen geändert?

J: Erst durch Lützi habe ich wirklich verstanden, wie absurd eigentlich die Macht von Staaten und Konzernen ist. Wie irrational die Entscheidung einer Gesellschaft [ist], zu sagen: „Lass uns doch einer kleinen Gruppe von Menschen ein Gewaltmonopol geben, sie Polizei nennen, ihnen blind vertrauen und unseren Kindern beibringen, dass alles, was diese Menschen tun, richtig ist.“

W: Voll. Nirgendwo sonst habe ich das Gefühl gehabt, so konkret und offensichtlich das vor mir zu sehen, wogegen wir eigentlich ankämpfen. Und gleichzeitig hat es mir gezeigt, wie gut solidarisches, selbstorganisiertes Miteinander funktionieren kann. Dieser direkte Kontrast zwischen zwei Welten hat mich stark geprägt und mir unglaublich viel Motivation gegeben, diesen Kampf weiterzuführen. Nie in meinem Leben hat sich etwas so richtig, so legitim, so dringend notwendig angefühlt, wie sich an diesem Ort mit aller Kraft gegen die Zerstörung zu stellen. Seit Lützerath bin ich überzeugt, dass jede Form von Widerstand und jede Auflehnung gegen die herrschenden Zustände nicht nur gerechtfertigt, sondern angesichts der Krise, in der wir uns befinden, das einzig Richtige ist.

Welchen Effekt glaubt ihr, hatten die Ereignisse in Lützerath auf die Klimabewegung insgesamt?

W: Für mich fühlt es sich seit Lützi so an, als die vielen kleineren und größeren Gruppierungen der Bewegung, die in den letzten Jahren ihr Ding gemacht haben, immer mehr zusammenwachsen. Es gab unglaublich viel Solidarität aus allen Ecken der Bewegung, auch global, für die Menschen dort. Und auf den Feldern vor Lützi haben Menschen aus bürgerlichen Initiativen, Senior*innen, Familien, sich gemeinsam mit radikalen Aktivist*innen Hand in Hand gegen die Zerstörungswut von RWE und die Gewalt des Staates gestellt. Das gibt mir das Gefühl, dass die Bewegung auch immer mehr Teile der Gesellschaft mitnimmt. Und das ist, denke ich, eine enorm wichtige und gute Entwicklung.

J: Eine sehr schwierige Frage für mich. Lützerath war nur ein kleiner Baustein der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung, weltweit finden ständig Kämpfe statt, einige werden gewonnen, andere verloren. Doch auch wenn wir geräumt werden und Rückschläge einstecken müssen, wir kommen immer wieder, formieren uns neu, werden immer stärker und mit jedem Mal mehr. You can’t evict a movement!

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