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Seit Wochen ist der Tod von „Jina Amini“ durch die Moralpolizei und die Proteste im Iran in den Weltmedien zu sehen. Viele denken, dass diese Proteste ein plötzliches und unerwartetes Ereignis sind, die zu einer Revolution führen werden. Aber die unsichtbare Tatsache ist, dass diese Massenproteste die Folgen von über 43 Jahre Frauenunterdrückung im Iran sind. 

Von Aljeen Hasan 

Am 13. September war Jina Amini (auch Mahsa Amini) mit ihren Eltern im Teheran auf Urlaub. Plötzlich wurde die 22-jährige Kurdin von der iranischen Sittenpolizei umgeben und dementsprechend festgenommen. Grund dafür: Sie trug den ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit zu locker und nicht nach den Vorschriften der islamischen Republik Iran. Zwei Stunden nach der gewaltsamen Inhaftierung und ihrer Ankunft auf der Polizeiwache wurde Jina Amini schwer verletzt in einem Krankenwagen aus dem Gefängnisgebäude gefahren. In Polizeigewahrsam fiel die 22-Jährige ins Koma und musste in die Kasra-Klinik gebracht werden. Am 16. September wurde ihr Tod aus der Klinik in Teheran gemeldet. Laut polizeilichen Angaben erlitt Amini einen plötzlichen Herzinfarkt. Aber Augenzeug*innen berichteten hingegen von Foltereinwirkung seitens der Polizei. Die Familie beschuldigt die Einsatzkräfte der Misshandlung. Da sie im Krankenhaus deutliche Spuren von Misshandlungen gesehen hatten. Ihr Gesicht sei „geschwollen und ihre Beine voller blauer Flecken“ gewesen, sagten die Eltern. 

Die Leiche der jungen Frau wurde in der kurdischen Provinz Saqqez, ihr Heimatstadt im Westen des Landes, gebracht. Während der Beerdigung von Jina wandelte sich die Trauer der Verwandten zur Wut. Durch die doppelte Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit und des Geschlechtes brach Wut in den Menschen in weiteren kurdischen Städten aus. Sie begannen wütend zu streiken. Mit dem kurdischen Spruch “Jin, Jiyan, Azadî” (auf Deutsch Frau, Leben, Freiheit) demonstrierten die Betroffenen. Schnell haben sich die Demonstrationen auf viele weitere Städte Irans ausgeweitet. Zum ersten Mal seit der Revolution von 1979 befinden sich massenweise wieder Zivilist*innen aus unterschiedlichen sozialen und ethnischen Gruppen des Irans auf den Straßen. Seite an Seite, Junge und Alte, Männer und Frauen. Geeint und hoffnungsvoll rufen sie für Freiheit und Systemwandel. Auf den Straßen schneiden sich die Frauen ihre Haare ab und verbrennen ihre Kopftücher als Zeichen des Widerstandes. Gemeinsam tanzen sie und singen als Symbol der Freiheit. Das iranische Regime reagiert aber seit Wochen gewaltsam und brutal auf diese unbewaffneten Demonstrationen. Das iranische Regime hat eine ganze Reihe von Sicherheitskräften beauftragt, um gegen Demonstranten*innen vorzugehen. Diese sind: die Polizeikräfte des Iran (NAJA), das ist die Dachorganisation für verschiedene Polizeieinheiten, darunter auch die Sittenpolizei. Neben den Polizeikräften (NAJA) hat das Regime neulich auch die Revolutionsgarden (IRGC) eingesetzt. Überall auf die Straßen werden die Zivilisten*innen von den schwer bewaffneten Sicherheitskräften niedergeschlagen und teilweise erschossen, ohne Rücksicht auf den älteren oder jungen Demonstranten*innen nehmen. Viele Kinder und Schulmädchen protestieren täglich, anstatt in die Schule zu gehen. Regimekräfte verkleiden sich als Zivilisten und nehmen Minderjährige und Mädchen fest. Bis jetzt sind Dutzende Schulmädchen auf der Straße festgenommen, vergewaltigt und umgebracht worden

Nicht überall im Land geht das Regime gleich vor. In manchen Gebieten mit großen ethnischen Minderheiten sind die Revolutionsgarden stärker militarisiert. Die Repressionen sind besonders stark in den kurdischen Gebieten wie Saqqez, Piranschahr, Mahabad und Urmia. Die unbewaffnete Demonstrant*innen werden von Sicherheitskräften mit scharfer Munition beschossen.

Seit mehreren Wochen blockiert das Regime den Internetzugang im Iran. Plattformen wie Twitter, WhatsApp oder Instagram sind teilweise im gesamten Iran gesperrt. Somit hat das Regime nicht nur das wichtigste Mittel für die innere Kommunikation und Organisation der Demonstrant*innen, sondern auch jegliche Form des Kontakts mit der Außenwelt blockiert. Und das alles, damit die Menschen von den Menschenrechtsverletzungen und der Brutalität des Regimes nicht berichten können. All das hält die mutigen Protestanten*innen nicht davon ab, täglich zu demonstrieren. Denn der Mord an der 22-jährige Jina Amini hat bei vielen Menschen im Iran alte Wunden aufgerissen und Wut entfacht, die nicht mehr unterdrückbar sind.

Seit 1979 und der islamischen Revolution im Iran gelten strenge frauenfeindliche Regeln, die das Leben der Frauen massiv einschränken. Dazu gehören vor allem detaillierte und strenge Bekleidungsvorschriften und die Beauftragung der Sittenpolizei für die Überwachung der Bekleidung und das Verhalten von Frauen in der Öffentlichkeit. Die Frauen dürfen keine engen, kurzen und zu bunte Kleidung tragen. Auch wenn sie etwa zu  stark geschminkt waren oder ein paar mehr Haarsträhnen zu sehen sind, werden sie festgenommen, geschlagen und bestraft. Mehr als 43 Jahre leben Frauen unterdrückt in einem Land, in dem jede kleine Bewegung von Frauen überwacht wird, wo die Frauen für die kleinsten Details bestraft werden und kein Raum für ein Stück Selbststimmung und Normalität gegeben wird. All das führte dazu, dass die Frauen heute „Nein“ sagen, angstfrei ihre Rechte auf Selbststimmung äußern und massenweise auf der Straßen demonstrieren, ihre Kopftücher abnehmen, sie in der Hand zu winken und zum ersten Mal seit Jahren laut und mutig zu sagen: 

„Jin, Jiyan, Azadî“

Denn diese Proteste im Iran sind kein Zeichen für eine potenzielle Revolution. Tatsächlich ist das eine unsichtbare innere Revolution der Frauen, die 43 Jahre alt ist.

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