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Traurige Realität: Auch im Jahr 2017 findet an österreichischen Universitäten noch sexuelle Belästigung statt. Mittlerweile gibt es zwar Institutionen, die Betroffene unterstützen sollen; trotzdem stehen Betroffene den Tätern oft machtlos gegenüber stehen, wie der Fall von Barbara A.* zeigt.

Von Christoph Würflinger

Unser Fall trägt sich in einem Zentrum der Universität Salzburg zu und beginnt im Jahr 2014. Barbara A. ist damals als Sekretärin am Zentrum beschäftigt und schreibt gerade ihre Masterarbeit. In diesem Jahr unternehmen die ZentrumsmitarbeiterInnen eine mehrtägige Exkursion ins Ausland, an der auch Wolfgang N.* teilnimmt, seines Zeichens Kooperationspartner des Zentrums und auch Lehrender an der Salzburger Kunstuni Mozarteum. Während dieser Reise wird Wolfgang N. zum ersten Mal auffällig. Bei einem gemeinsamen Aufenthalt in einer Bar kommt es zu übergriffigen Bemerkungen („Barbara, geh‘ mit mir aufs Klo!“). Zu späterer Stunde unterhält er sich mit dem stellvertretenden Zentrumsleiter Helmut T.* lautstark darüber, welche der anwesenden MitarbeiterInnen am hübschesten sei, und fordern sie auf, auf den Tischen für sie zu tanzen. Auf dem Heimweg darauf angesprochen, halten Barbaras KollegInnen dieses Verhalten für äußerst unpassend. Später wollen sie sich allerdings nicht mehr daran erinnern.

„Barbara, geh‘ mit mir aufs Klo!“

Im Laufe des Jahres hält sich Wolfgang N. immer wieder in den Räumen des Zentrums auf, spricht Barbara A. immer wieder auf sexuelle Themen an und macht unangemessene Bemerkungen. Für eine Veranstaltung wollen N. und T. nackte Frauen engagieren und auch sonst drehen sich die Gespräche immer wieder um weibliche Körper und andere sexuelle Themen. Dadurch entsteht eine Atmosphäre, in der sich Barbara A. nicht wohlfühlt. Weil man aber Vorgesetzte nicht verärgern sollte, wenn man eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, schweigt sie.

Anlass für erste Unmutsbekundungen ist eine Weihnachtsfeier im Jahr 2015, bei der sich Wolfgang N. immer wieder so in einen Türrahmen stellt, dass Barbara A. ihn beim Vorbeigehen berühren muss. Außerdem hält er wenig Distanz zu ihr und berührt sie immer wieder „zufällig“ an Brust und Gesäß. Dazu kommen belästigende Bemerkungen. Sie spricht mit KollegInnen darüber, die das Fehlverhalten von N. bestätigen. Gemeinsam wenden sie sich an den zweiten stellvertretenden Leiter – gleichzeitig Postdoc und damit in einem Abhängigkeitsverhältnis – und bitten diesen, bei Helmut T. dafür zu sorgen, dass N. sein Verhalten abstellt. Er kommt dieser Bitte nach, allerdings bleibt das Gespräch ohne Folgen. Trotzdem bessert sich die Situation in den nächsten Wochen, weil Wolfgang N. aus beruflichen Gründen kaum im Zentrum ist.

Im Frühling 2016 findet wieder eine Exkursion ins Ausland statt. Nach der Ankunft im Hotel verabreden sich die TeilnehmerInnen zum gemeinsamen Besuch einer Weinbar und treffen sich davor in der Hotellobby. Barbara A. kommt dort als erste an. Wenig später stoßen Wolfgang N. und Helmut T. zu ihr. Die beiden beginnen ein Gespräch, in dem es um die damals publik gewordenen Belästigungsvorwürfe gegen den Rektor des Mozarteums geht. N. sieht solche Vorwürfe als Mittel für Frauen, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Er macht sich darüber lustig, es sei alles nicht so schlimm, die Frauen „sollen sich nicht so haben“. Frauen würden solche Fälle ausnützen, um ihre eigene Position abzusichern und zu stärken. Außerdem sei oft sexuelle Frustration der Grund für solche Vorwürfe. Zu späterer Stunde vergleichen die beiden die Mitarbeiterinnen des Zentrums und unterhalten sich darüber, wer die „bessere“ sei. Am nächsten Tag wird Barbara A. von Wolfgang N. beim Buffet grinsend betatscht. Dazu kommen weiterhin übergriffige Bemerkungen.

„Die Frauen sollen sich nicht so haben.“

Einige Wochen später findet eine Abendveranstaltung für ein Forschungsprojekt statt, bei der es kaum Gäste, dafür umso mehr Alkohol gibt. Während A. aufräumt, unterhalten sich die stark alkoholisierten N. und T. in einem Nebenraum über sie. Während T. – mittlerweile Leiter des Zentrums – meint, sie hätte einen „fetten Arsch“, hält N. dagegen. A. kommt am nächsten Tag nicht ins Büro; sie hat Angst, N. dort anzutreffen.

Eine Woche später nimmt Barbara A. an einer Exkursion des ehemaligen Zentrumsleiters teil. Auf ihre schlechte Laune angesprochen, teilt sie ihm die Vorkommnisse mit. Er bietet ihr ein Gespräch nach der Exkursion an. A., die sich von ihm Hilfe erwartet, wird enttäuscht: Er wirft ihr private Probleme und sexuelle Frustration vor. Sie sei durch ihre Familie geschädigt und brauche deswegen dringend Hilfe. Die sexuelle Belästigung sei nur Einbildung. Er bietet ihr außerdem an, eine Stelle in Italien für sie zu suchen. Sein Rat: „Lassen Sie sich dort unten einmal ordentlich durchnehmen, aber nicht von einem Italiener oder Franzosen, weil die bringen’s nicht.“ Sie solle sich außerdem entscheiden, ob eine Karriere in der Wissenschaft das richtige sei und ob sie nicht lieber eine Familie gründen wolle. Später wird sie vom Zentrumsleiter und seinem Stellvertreter unter Druck gesetzt: Die Sache würde im Nichts verlaufen, keiner würde ihr glauben.

„Lassen Sie sich dort unten einmal ordentlich durchnehmen!“

Nach dem Gespräch sucht Barbara A. die Psychologische Studierendenberatung, eine von der Universität unabhängige Einrichtung des Wissenschaftsministeriums, auf. Gleichzeitig wendet sie sich an den Betriebsrat der Uni Salzburg, dem sie die Angelegenheit schildert. Ihm soll sie einen Katalog der Vorfälle vorlegen. Außerdem empfiehlt er den Kontakt zum Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen (AKG) der Uni Salzburg und – noch wichtiger – den Beitritt zur Gewerkschaft. Beim zweiten Treffen reden sie über diese Zusammenstellung. Er will recherchieren und sich dann bei ihr melden. Ein paar Wochen später bittet sie ihn um ein weiteres Treffen, erhält aber keine Antwort mehr.[1] Zwischen den beiden Treffen mit dem Betriebsrat kontaktiert Barbara A. den AKG. Dort ist man empört über die Vorfälle und verspricht, sich darum zu kümmern. Allerdings kommt es zu keinen für Barbara A. erkennbaren Ergebnissen.

Nach dem Termin beim AKG sucht A. auch den Kontakt zum Leiter des Fachbereichs X, mit dem das Zentrum verbunden ist. Sie schildert ihm die Lage und betont, wie schwierig es für sie ist, ins Büro zu kommen. Dieser bietet ihr – zumindest vorübergehend – einen Arbeitsplatz am Fachbereich X an. Dieses Angebot nimmt sie an. Außerdem fragt er, ob ein Betretungsverbot für Wolfgang N. eine Lösung wäre, was sie bejaht. Die Psychologische Studierendenberatung, zu der sie inzwischen regelmäßig geht, empfiehlt ihr den Kontakt zum Vertrauensrat in Angelegenheiten von Diskriminierung (aufgrund des Geschlechts, insbesondere durch sexuelle und/oder geschlechtsbezogene Belästigung oder durch strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung). Auch dort wird ihr geholfen.

Im Sommer 2016 findet ein erneutes Gespräch statt, an dem Helmut T. Barbara A. und eine Mediatorin teilnehmen. Helmut T. dreht dabei die Aussagen von Barbara A. um, findet Ausreden, betont, dass es keine Zeugen gebe und dass es sich um ihre privaten Probleme handle. Die Rollen des Täters und der Betroffenen werden umgekehrt. Barbara A. kommt von da an immer seltener ins Büro und nur zu Zeiten, zu denen Wolfgang N. nicht anwesend ist. Im Oktober 2016 wird ihr schließlich versichert, dass dieser die Räumlichkeiten des Zentrums nicht mehr betreten darf. Die Sticheleien von Helmut T., hören damit allerdings nicht auf. Sie tragen dazu bei, dass sich Barbara A. letztendlich dazu entscheidet, die Stelle am Zentrum aufzugeben.

„Abstruse Beschwerden.“

Soweit Barbara A.‘s Schilderung. Wolfgang N. und Helmut T. sehen die Sache anders. Mit den Vorwürfen konfrontiert, versichert uns ersterer in einem Gespräch, keinerlei Interesse an Barbara A. zu haben – weder beruflich noch privat. Die Vorwürfe seien aus der Luft gegriffen. Ganz im Gegenteil sei er ein Mann, der Frauen schon öfter aus Belästigungsszenarien gerettet hätte. Helmut T. führt die Sache auf eine „persönliche Krisensituation“ zurück und sieht „abstruse Beschwerden“. Es steht hier also Aussage gegen Aussage. Handelt es sich hier um die Geschichte eines schamlosen Grapschers, der die Sicherheit universitärer Strukturen und Hierarchien ausnutzt, oder sind es – wie N. und T. meinen – haltlose Anschuldigungen einer Verrückten, die sich das alles krankhaft einbildet?

Der Fall ist in seinen Details so absurd, dass er eigentlich gar nicht erfunden sein kann. Würde man sich diese Vorwürfe ausdenken, man würde sich wohl eine bessere, glaubwürdigere Geschichte einfallen lassen. Dafür sprechen auch weitere, von mehreren Studierenden bestätigte Vorfälle während einer Exkursion am Fachbereich X im Jahr 2011, bei der Wolfgang N. mehrere Studentinnen beim abendlichen Zusammensitzen an den Beinen berührt und immer wieder die Arme um sie gelegt hat, um sie zu sich zu ziehen. Tagsüber fiel er vor allem dadurch auf, die Beine von rocktragenden Studentinnen zu fotografieren. Er scheute nicht einmal davor zurück, einer Studentin „unauffällig“ unter den Rock zu fotografieren. Und auch beim Schwimmen im Hotelpool zückte er seine Kamera. Studierende erzählen uns von einer „systematisch wirkenden Verfolgung“, die für ein zunehmend verzweifeltes Klima unter den Exkursionsteilnehmerinnen sorgte.

„Und auch beim Schwimmen im Hotelpool zückte er seine Kamera.“

Auch am Mozarteum erzählt man uns unter vorgehaltener Hand, dass es ein offenes Geheimnis sei, dass Wolfgang N. zu übergriffigem Verhalten neige. Der dortige HochschülerInnenschaft liegen zwar keine offiziellen Beschwerden vor, allerdings könnte das daran liegen, dass Wolfgang N. den Kunststudierenden immer wieder zu Auftritten und anderen Jobs verhilft, weshalb viele dieses Verhalten in Kauf nehmen. Ein ähnliches Motiv könnte auch bei Kooperationspartnern an der Universität und anderen Einrichtungen vorliegen: Wolfgang N. hat unseren Quellen zufolge die Möglichkeit, finanzielle Mittel für interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Verfügung zu stellen – eine Geldquelle, auf die niemand verzichten möchte. Ein anderer Vorfall, bei dem N. rassistische Diskriminierung in einer Lehrveranstaltung vorgeworfen wird, sorgt schließlich dafür, dass er am Fachbereich X, an dem er regelmäßig gemeinsam mit Helmut T. unterrichtet hat, keine Lehrveranstaltungen mehr halten darf.

„Betroffene müssen mit Täter-Opfer-Umkehr rechnen.“

Was Barbara A. widerfahren ist, ist kein Einzelfall. Bei einer europaweiten Befragung der Ruhr-Universität Bochum (2012) gaben 61 Prozent der Studentinnen an, zumindest einmal im Studium sexuell belästigt worden zu sein. Warum kommt es gerade an Universitäten immer wieder zu solchen Übergriffen? Und warum werden Betroffene eingeschüchtert, anstatt sie besser zu unterstützen? Belästigung ist in erster Linie eine Machtfrage. An Unis sind Studentinnen und junge Wissenschaftlerinnen ihren Vorgesetzten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert – ohne das Wohlwollen des Betreuers ist eine wissenschaftliche Karriere unmöglich. Diese Abhängigkeitsverhältnisse machen es Betroffenen schwer, Übergriffe anzusprechen und sich zur Wehr zu setzen. Selbst wenn sie Dritte hinzuziehen, müssen sie mit einer Täter-Opfer-Umkehr rechnen. Die universitären Machtverhältnisse werden sich so schnell nicht zugunsten anderer Modelle mit flachen Hierarchien ändern. Gerade deshalb tragen alle – vor allem jene in Machtpositionen – eine Verantwortung, bei solchen Übergriffen nicht wegzuschauen oder mit den Tätern zu packeln. Kein falsch verstandener Schutz von Ansehen und Ruf eines Instituts ist eine Rechtfertigung, um sexuelle Gewalt und Übergriffe unter den Teppich zu kehren. Werden Fälle wie der von Barbara A. nicht ernst genommen, fördert man eine Kultur des Schweigens und Wegsehens, die es Betroffenen schwer macht, Übergriffe aufzuzeigen.

Anlaufstellen bei sexueller Belästigung:

  • Helpline Sexuelle Belästigung: 0664 88386932 (Dienstag 9-11 Uhr, Donnerstag 16-18 Uhr)
  • Psychologische Studierendenberatung Salzburg: Mirabellplatz 9/1, sbg@sbg.ac.at, 0662 8044 6500 (Montag bis Freitag 9-12 Uhr außer Mittwoch)
  • ÖH Uni Salzburg: Referat für Frauen / LGBTQIA* / Gender, frauen@oeh-salzburg.at

*Namen von der Redaktion geändert.

[1] Der Betriebsrat beruft sich uns gegenüber auf seine „besondere Verschwiegenheitspflicht“

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