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Das Intermezzo von Hendrik von Lehnert als Rektor der Universität Salzburg dient als ideale Blaupause, wenn man über das Verhältnis von Deutschland und Österreich sprechen will und wo die Unterschiede zwischen den beiden Ländern liegen. Schlussendlich scheiterte Lehnert nicht an zu schlechten Leistungen, sondern an den vormodernen Verhältnissen in Österreich. 

Von David Mehlhart

1793 wurde in Frankreich endgültig Schluss gemacht mit der elenden Vererberei von rechtlichen Privilegien und politischer Verfügungsgewalt. Der oberste Erbschleicher der Nation wurde im Zuge dieser Zeitwende einen Kopf kürzer gemacht und sollte ein warnendes Beispiel an all jene sein, die der süßen Vorstellung anheim zu fallen drohten, dass Sohn oder Tochter zu sein genug Befähigung darstellt, um in einem Schloss zu hausen, den ganzen Tag Wachteln zu essen und in der Pause dazwischen den ein oder anderen Feldzug gegen ähnlich verkommene Gestalten aus anderen Breitengraden zu führen, die am Ende aber eh der eigene Cousin 14. Grades sind.

Die kritischen Geister der Aufklärung suchten nun nach anderen Qualitätskriterien, um geeignetes Personal für die zentralen Stellen in den Sphären des Staates, Politik und Wirtschaft zu finden. Dieses Prinzip wird als Meritokratie bezeichnet und setzt sich aus dem lateinischen Wort meritum, zu Deutsch Verdienst und dem Griechischen Suffix kratie zusammen, welches mit zu herrschen übersetzt werden kann. Sprich: es handelt sich dabei um die Herrschaft jener, die aufgrund zuvor erbrachter Leistungen auf diesem oder jenen Posten landeten.

Die Idee, dass nicht der der Papi und manchmal auch die Mami dafür verantwortlich sind, dass einer seine Mitmenschen, gedeckt von geltendem Recht, drangsalieren und herumschubsen kann, ist eines der Kernmotive der Moderne – wenn auch nicht frei von Widerspruch! Dazu aber später mehr. An die Stelle der großkinnigen Aristokraten mit kreisförmigem Stammbaum traten nun smarte Politstrategen und findige Unternehmer. Die Menschen waren nun herausgetreten aus dem Schatten des Jahrtausende herrschenden Tribalismus und bestimmte ihre Geschicke von nun an selbst.

Paris war das Epizentrum dieses Erdbebens. Und wie bei einem echten Erdbeben werden die Erschütterungen schwächer und schwächer, je weiter entfernt man sich von dem Ort aufhält, an dem die Kontinentalplatten aufeinandertreffen. Während es westlich des Rheins dazu führte, dass Schlösser zu schönen Touriattraktionen, umfunktioniert wurden, sank die Magnitude kontinuierlich und wurde schwächer und schwächer.

In Deutschland etwa konnte sich die Meritokratie schon nicht mehr vollständig entfalten und eine Kümmerform etablierte sich im Land der Teutonen. Das im Heckerlied formulierte Ziel, nach 33 Jahren Knechtschaft den Hunden von der Reaktion den ihnen zustehenden Platz zuzuweisen, konnte leider nur bedingt umgesetzt werden. Am Ende blieb von der freien deutschen Republik eben nur das Deutsche über.  Das Hauptcharakteristikum der teutonischen Meritokratie ist, dass sie stets an eine gleichzeitig stattfindende Abwertung gekoppelt sein muss. Eigenhändiger Aufstieg ist im Schweiße seines Angesichtes zwar möglich aber nur dann, wenn andere dafür Leid und Höllenqualen erfahren. Denn – und so viel Rassismus sei an dieser Stelle erlaubt – der Deutsche ist verbissen. Der soziale Aufstieg ist das Eine, am süßesten schmeckt er aber, wenn diejenigen, die es nicht geschafft haben, so richtig darben müssen. Sinnbildlich dafür stehen die großen Reformen der Rot-Grünen-Regierung, die zur Jahrtausendwende in Schland regierte, und unter dem griffigen Schlagwort „Agenda 2010“ einen sozialen Kahlschlag sondergleichen zu verantworten hatten. Armut und Elend zu lindern oder gar zu beseitigen, wurde in die Hände der Betroffenen selbst gelegt. Wer fleißig arbeitet und auch mal den ein oder anderen Scheißjob annimmt, schafft es schon irgendwie raus. Hauptsache aus eigener Kraft. Das ist die oben erwähnte zynische Kehrseite der Meritokratie.

Auf ihrem Weg durch die deutschen Lande kam das Erdbeben der Moderne vollends zum Erliegen und machte just vor den Grenzen Österreichs halt. Am eindrücklichsten wird einem das alljährlich bei der Feier zu Ehren von Anton Wallner vor Augen geführt, bei der sich auch der Landeshauptmann nicht lange bitten lässt, um die Reihe von Männern, die im Andenken an Wallner in zeitgenössischen Uniformen gewandet Koalitionskriegs-LARP betreiben, abzuschreiten.  Wallner, eine Art Salzburger Andreas Hofer, war im Jahre 1809 ganz und gar nicht damit einverstanden, dass sich die Franzosen unter der Führung Napoleon Bonapartes dazu erdreisten, ein wenig Licht und Vernunft in die finsteren Täler Salzburgs zu bringen. Er rief seinen Gesinnungsgenossen zu den Waffen und zog gegen die Grande Armee ins Feld. 

Österreichische Protestkultur, wie sie im Buche steht: Man kann noch so unterdrückt und gegängelt werden – keine Reaktion. Droht dem Österreicher aber etwas Gutes zu widerfahren, sind in Windeseile die Barrikaden errichtet und er wird plötzlich aufmüpfig. Schlussendlich wurde der renitente Wallner noch geschnappt, was aber bleibt, ist, dass die österreichische Innenpolitik seit diesen Tagen nur einen Modus kennt, und zwar den des Festhaltens und Trotzigseins. Wo andernorts auf Basis des Code Civil florierende Gesellschaften erblühten, wurde in Österreich zum Beispiel erst 1859 das Zunftwesen abgeschafft. Man hatte hierzulande einfach kein Interesse an einem aufgeklärten und selbstbewussten Citoyentum. Würde am Ende ja nur zu Konflikten und Missverständnissen und überhaupt führen. Damals wie heute scheut der Österreicher den Dissens wie der Teufel das Weihwasser.

Auch in den folgenden Jahrzehnten setzte man alles daran, ja nicht auch nur den kleinen Zeh in das Meer der Aufklärung zu halten. Je besser diese dümmliche Angst der Herrschenden auf die zu beherrschenden übertragen werden konnte, desto effektiver blieb alles beim Alten, beim Feudalen und Unmittelbaren. Unser verehrter und verdienter Herr Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß machte es sich Zeit seines seligen Lebens zur höchsten Aufgabe, sämtliche Mikrospuren von Vernunft aus seinem schönen Österreich zu tilgen. Bei seiner berühmten Trabrennplatzrede 1933 hielt der ideelle Gesamtösterreicher fest, „dass wir die Aufgabe haben, die Fehler der letzten 150 Jahre unserer Geistesgeschichte gutzumachen und auf neuen Wegen unserer Heimat ein neues Haus zu bauen, und dass jeder einzelne die Pflicht hat, an diesem Neubau mitzuarbeiten.“ Noch heute zehren Jungpolitiker*innen landauf, landab von diesem leidenschaftlich vorgetragenen und zukunftsweisenden Architektur-Dogma.

Dass Hendrik Lehnert nun als Rektor aus dem Amt geschasst wurde, liegt also in erster Linie an den tribalistischen und vormodernen Strukturen, die Österreich seit vielen Jahrhunderten im festen Würgegriff halten. Dem Anschein nach gibt es zwar Parteien, die für diese oder jene Interessen in die Wahlschlacht ziehen, allerdings muss man sich stets bewusst sein, dass es sich dabei nur um eine minimale Lackschicht handelt, die sofort abblättert, wenn man nur sanft daran kratzt. Diese Geschicke in diesem Land werden nach wie vor von Stammesältesten bestimmt, die schalten und walten, wie es ihnen beliebt und ihre Macht skrupellos innerhalb des Clans verscherbeln, im Volksmund auch Sozialpartnerschaft genannt.

Diese Allmacht ergreift die gesamte öffentliche und zum Teil auch private Sphäre und erstreckt sich vom Erteilen von Steuergeschenken bis hin zur Einsetzung eines genehmen Rektors – und dessen Absetzung. Sehr wahrscheinlich, dass Lehnert nicht ob irgendwelcher nicht erreichter Ziele gehen muss – sein Programm, mit dem er angetreten ist, war ja beseelt vom Glauben an den Markt, der die Wadeln der behäbigen PLUS ordentlich nach vorne richtet – sondern weil er den Salzburger Polit-Häuptlingen ein wenig zu viel Trubel bereitete mit den stetigen Schlagzeilen in der lokalen Presse.

Wie dem auch sei: Österreich harrt jedenfalls immer noch einer profunden und konsequenten Demokratisierung. Ob man diese mit dem Aufstellen einer Guillotine, wie anno dazumal in Paris, erreichen kann, könnte mal ja mal das Thema eines Round-Tables sein, bei dem Expert*innen verschiedenster Fachrichtungen ergebnisoffen diskutieren, ob nicht die eine oder andere Synergie zu bündeln wäre. Hauptsache, es ändert sich nicht zu viel.

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