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Im Nationalratswahlkampf inszenierte sich Herbert Kickl lustvoll als Volkskanzler, der den Willen des Volkes ins Parlament tragen wird. Leo Löwenthals Studie Falsche Propheten kann Aufschluss darüber geben, welche psychodynamischen Prozesse jenseits der manifesten Inhalte bei den Anhänger*innen in Gang gesetzt werden. 

Von David Mehlhart 

Gut gedacht, schlecht gemacht 

Als der FPÖ-Chef Herbert Kickl diesen Sommer bei einem Wahlkampfauftritt einen vom Leder zog und die Gäste der Eröffnung der prestigeträchtigen Salzburger Festspiele allesamt als „Heuchler“ und „Inzuchtpartie“ verunglimpfte, ließ die Empörung nicht lange auf sich warten. Vom Salzburger Landeshauptmann Haslauer, immerhin in einer Koalition mit der FPÖ, abwärts hagelte es Kritik. Gert Korentschnig mutmaßte im Kurier, dass Kickl gegen die Festspiele und das Publikum wetterte, da dieser als Populist nicht sehen will, was Kunst und Kultur eigentlich ist, nämlich eine „Schule des Selbstdenkens und der Nuancen“. Karoline Edtstadler interpretierte den Sager auf der diskursiven Metaebene und sah die metaphorische Maske Kickls fallen, das zum Vorschein Kommende sei eines „politischen Repräsentanten nicht würdig“.  

Die Wortmeldungen von Korentschnig wie auch von Edtstadler können als symptomatisch für den Umgang mit Rechten und Rechtsextremen in der österreichischen Öffentlichkeit betrachtet werden und zeigen auf, in welche Sackgassen sich berechtigte Kritik bisweilen selbst hineinmanövriert. Gemein ist den beiden Aussagen, dass sie versuchen, Kickls Ausfällen auf einer sachlichen Ebene zu begegnen und ihr auf dieser rationalisierend entgegentreten wollen. Der Inzucht-Sager ist in dieser Kommunikationsmatrix einerseits verwerflich, weil er etwas angreift, in dem Fall die Salzburger Festspiele, das von einem (links-)liberalen Standpunkt als schützenswert erscheint; zum anderen verliere Kickl in seinem blinden Furor – Edtstadler legt das durch das Bild der fallenden Maske nahe – die Beherrschung und verstößt so gegen die Etikette des politischen Betriebes, die im Zweifelsfall die Form höher schätzt als den Inhalt. Mit Blick auf die jüngere Geschichte der ÖVP plump gesagt: Rassistisch? Ja, gerne, aber bitte ohne zu einschlägige Wortwahl.  

Dass diese Versuche des Entlarvens und Bloßstellens nicht gefruchtet haben, wurde spätestens am 29. September ersichtlich, als die FPÖ mit knapp 29 % als erste über die Ziellinie ging. Das Scheitern dieser Taktik lässt sich auch jenseits von Österreich feststellen. Wenn Politiker wie Donald Trump etwa lang und breit den Klimawandel abstreiten und mit krudesten Hörensagen-Anekdoten rassistisch Stimmung machen, werden weder er selbst noch seine eingeschworenen Anhänger*innen zu der Einsicht gelangen, dass die Erderwärmung womöglich doch mit dem CO2-Ausstoß zusammenhängt und dass Migrant*innen aus Haiti keine Haustiere essen, wenn man sie mit entsprechenden wissenschaftlichen Belegen oder Recherchen konfrontiert. Noch ehe der entsprechende Faktencheck publiziert ist, werden schon etliche weitere Lügen und Falschmeldungen fabriziert. Auf Dauer also eine Taktik, mit der man zwangsläufig ins Hintertreffen gerät. 

Kritik jenseits des Faktenchecks 

Dass der Versuch, inhaltlich auf rechtsextreme Agitation zu reagieren, zu einem Kampf gegen Windmühlen werden kann, erkannte der Soziologe Leo Löwenthal schon vor über 75 Jahren. In seiner 1949 veröffentlichten Studie Falsche Propheten unternahm Löwenthal, der neben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zu den Begründern der Kritischen Theorie zählt, den Versuch, die Äußerungen faschistischer Agitatoren in den USA der 1930er und 1940er Jahre zu analysieren. Löwenthal war dabei der Ansicht, dass weniger der manifeste Gehalt des Gesagten ausschlaggebend für die Wirkung auf die Zuhörer*innen war, als vielmehr der latente Inhalt der rassistischen, antisemitischen und antidemokratischen Tiraden, die er aus Flugblättern, Radioansprachen und öffentlichen Reden für seine Studie zusammentrug.  

Anhand der Prämisse, dass Aussagen einen offensichtlichen, also manifesten Gehalt haben können, daneben aber auch einen latenten und auf den ersten Blick nicht unmittelbar wahrnehmbaren, lässt sich Löwenthals theoretisch-methodologischer Rahmen erkennen. Ein Spezifikum der Kritischen Theorie war und ist es, marxistisch-materialistische Gesellschaftskritik mit den zentralen Einsichten der Psychoanalyse zu verquicken, um so Phänomenem der im Entstehen begriffenen Massengesellschaften und der Kulturindustrie adäquat begegnen zu können. Löwenthal hält daher zu Beginn der Studie fest, dass er „Agitationsphänomene als Manifestation tiefliegender sozialer und psychologischer Trends“ [1] versteht. Löwenthal zufolge versteht der Agitator wie kein Zweiter, das vage Unbehagen seiner Zuhörer*innen gezielt anzusprechen und zu reizen. Dieses diffuse Unbehagen, Löwenthal verwendet dafür den Begriff „Malaise“, ist aber gesellschaftlich bedingt. Es ist nicht einzig allein die Korrumpierbarkeit oder gar die Ungebildetheit der einzelnen Menschen, die sie empfänglich machen für faschistische Propaganda, sondern vielmehr muss man diesen Umstand als eine Auswirkung auf eine feindlich eingerichtete Gesellschaft verstehen. 

Die Pointe bei Löwenthal besteht nun darin, nicht einfach reaktionär gesinnten Menschen nach dem Mund zu reden und ihre Sorgen für bare Münze zu nehmen, sondern zeigt die Qualität der Verbindung zwischen dem gesellschaftlichem Außen und dem psychischen Innen bzw. die Wechselwirkung auf. Zwar weist das soziale Unbehagen, die Malaise, tatsächlich auf gesellschaftliche Realitäten hin, doch zugleich verschleiert und verzerrt es diese. Dieses Unbehagen ist weder eine bloße Illusion des Publikums noch eine reine Erfindung der Agitatoren, sondern vielmehr ein Symptom einer bedrückenden Situation. Konkret geht es um Unabwägbarkeiten und Zwänge, die der Kapitalismus den Menschen aufnötigt: Sorge um den Arbeitsplatz, Angst vor Obdachlosigkeit, Verlust von Autonomie. Löwenthal hält für die Malaise fest, dass „[i]hr psychologischer Gesamteffekt einem chronischen Leiden [ähnelt], einem nicht genau definierbaren ständigen Unbehagen, das ein Eigenleben entwickelt und dessen Quelle unbekannt bleibt.“[2] Löwenthal spinnt diese medizinische Analogie weiter, wenn er die Malaise mit einer Hautkrankheit vergleicht. Anstatt nun nach einer langfristigen Therapie zu suchen, also die Wirkungsmechanismen einer kapitalistischen Gesellschaft offenzulegen, um so aufzuzeigen, dass eben nicht Juden oder Jüdinnen, Migrant*innen oder sonstige Minderheiten schuld an den als belastend empfundenen Umständen sind, empfiehlt der Agitator das Kratzen. Dieser „irrationale Akt der Selbstverstümmelung [3], wie Löwenthal es nennt, verschafft aber nur kurzfristig Linderung. Denn Faschistische Agitatoren versuchen nicht, das Gefühl der Desorientierung zu überwinden, indem sie Probleme mit ihren Ursachen in Verbindung bringen und so rationale Lösungen ermöglichen. Stattdessen zielen sie darauf ab, Orientierungslosigkeit und Ohnmachtsgefühle weiter zu verstärken. Auf lange Sicht wird ein Erkennen der wahren Ursachen systematisch hintertrieben. Eine derartige verquere „Gesellschaftsanalyse“, wie der Agitator sie pflegt, die vermeintlich Schuldige, aber keine strukturellen Ursachen kennt, mündet früher oder später im Pogrom. 

Eine österreichische Malaise 

Vieles von dem, was Löwenthal in den 1930er und 1940er Jahren analysierte, wirkt erschreckend vertraut. Umso bedrückender ist, dass die methodologisch und konzeptionell äußert innovative und originelle Studie Falsche Propheten in der öffentlichen Diskussion ein derartiges Schattendasein führt. Zwar wird sie immer wieder aus dem Regal gekramt, erleidet aber bei der Rezeption ein ähnliches Schicksal wie viele Werke der Kritischen Theorie: Ein paar markante Sätze, Stichwort „kein Richtiges im Falschen“, werden herausdestilliert, die zentralen Einsichten, dass die Gesellschaft immer noch kapitalistisch verfasst ist, werden geflissentlich vergessen. 

Solange man Kickl vor diesem Hintergrund lieber triumphierend als rechten Reaktionär überführt (als wäre das eine Neuigkeit) und ihn als Flegel stilisiert, weil er die Gäste eines Kulturevents vordergründig biologistisch als „Inzuchtpartie“ bezeichnet, bleibt einem die latente und oftmals wirkmächtigere Ebene seiner Tiraden versperrt. Zuhörer*innen von Kickl, egal ob bereits eingefleischte FPÖler*innen oder Sympathisant*innen, dürfte viel mehr der Subtext interessiert haben. Angekommen sein dürfte viel eher, dass Österreich von moralisch verkommenen Menschen gesteuert werde, denen das Wohlergehen des Volkes herzlichst egal sei. Nicht nur bedient Kickl damit eine diffuse Elitenkritik, die vor allem während der Coronapandemie ihre Blüten trieb und nicht selten in blanken Antisemitismus mündete, sondern lieferte im Zuge des Wahlkampfes auch gleich die Lösung mit. Helfen kann nur ein Volkskanzler, der wieder für Zucht und Ordnung sorgt. 

Löwenthal hält am Ende von Falsche Propheten nüchtern fest, dass eine detaillierte Analyse von rechter und faschistischer Agitation nur schwerlich deren Reiz zerstört oder gar eine politische Gegenstrategie offenlegt. Zumal die Spezifika jeder Epoche berücksichtigt werden müssen. Nichtsdestotrotz ist eine derartige Auseinandersetzung mit Agitation, die die strukturellen gesellschaftlichen Gründe einerseits und deren irreführende Auslegung durch den Agitator andererseits im Zusammenspiel betrachtet, ein „nicht unwesentlicher Teil Schritt zu ihrer Verhütung.“ [4] 

[1] Leo Löwenthal (1982 [1949]): Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation. In: Ders.: Schriften 3. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 11–160, S. 12. 
[2] Ebd., S. 30. 
[3] Ebd., S. 31. 
[4] Ebd., S. 152. 

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