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Was macht eine offene Stadt aus und warum ist es so wichtig, dafür zu planen und darüber nachzudenken? Eingriffe in die Stadt, wie aktuell am Kajetanerplatz realisiert oder am Rudolfskai geplant, verändern diese naturgemäß. Im weiteren Verlauf wollen wir durch die Brille Richard Sennetts einen Blick auf Städte sowie deren Veränderungen und möglichen Öffnungen werfen. Ein Plädoyer für eine offene Gesellschaft, und die offene Stadt als deren Allegorie.

Christian Veichtlbauer

In rasender Geschwindigkeit findet Verstädterung und Zersiedelung zugleich statt. In unserer Welt leben mehr als 50 Prozent der Menschen in Städten (für 2050 werden bereits zwei Drittel prognostiziert), davon eine wachsende Zahl in Megastädten mit mehr als 5 oder 10 Millionen Menschen. Doch die städtische Lebensart geht weit über die Grenzen eben jener als Ort hinaus. Dies ist Ausgangspunkt der Betrachtungen über die Stadt als den Ort des Gegenwärtigen, aber auch des zukünftigen gesellschaftlichen Zusammenlebens. Der Blick muss sich dabei über den Tellerrand hinweg auf die ganze Welt richten, denn die neuen Städte, oft auch Megacitys genannt, entstehen nicht in den alten Metropolen des Westens. Nun ist Salzburg wirklich nicht davon bedroht eine solche Megacity zu werden, aber dennoch wollen wir uns mit deren Eigenschaften und Entwicklungen beschäftigen, um auch im kleinen Maßstab den Blick für wesentliche Merkmale von Städten zu schärfen. Das Idealbild einer offenen Stadt steht dabei zur Disposition.

Wollen wir dem Wunsch nach Offenheit folgen, müssen wir die bestehenden Städte und die Regionen der Welt, wo sich eine Urbanisierung erst vollzieht, ins Auge fassen. Wer verstehen will, warum eine offene Stadt für die Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist, muss sich auf die Auseinandersetzung mit all Ihren Dimensionen einlassen. Hierbei geht es weniger um eine neue Theorie der Gesellschaft, als um eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Welt und zugleich um eine wertfreie Voraussage für die Zukunft. Es gilt die eigenen Erfahrungen mit theoretischen Erkenntnissen aus dem weiten Feld von Stadtplanung, Geschichte der Stadt und ihrer Soziologie sowie der Architektur zu verbinden.

Unter offen wird verstanden, dass die Bewohner:innen Möglichkeiten haben, eigene Bedürfnisse weitgehend frei von äußeren Zwängen oder Richtlinien auszuleben. Um dies zu versinnbildlichen, können wir uns ein Labor oder eine Werkstätte nach der Trial-and-ErrorMethode vorstellen. Legen wir dieses Prinzip auf die Stadt um, so kann davon gesprochen werden, dass diese aus sich selbst heraus lebt. Stadt wird eben nicht nur (von oben) gemacht und angeordnet, sondern auch gelebt und ständig weiterentwickelt. Hierzu wiederum müssen sich die Menschen den Raum bis zu einem gewissen Grad aneignen können. Dieses ständige Zusammenspiel mit der Stadt sowie die Folgen der damit verbundenen sozialen Prozesse sind prägend für das urbane Gewebe. Auch die „offizielle“ Raumplanung ist ein Teil dieser Auseinandersetzungen. Eine offene Stadt ist jedoch nicht automatisch gegen Stadtplanung von oben, sondern sieht eine eng verwobene Zusammenarbeit zwischen der fachlichen Expertise der Bauleute und der Lebenserfahrung der Bewohner:innen als zentral an. Der Raum steht dabei allen offen zur Verfügung und Neues kann erschaffen werden.

Die Stadt soll demnach ein Sinnbild für die in ihr lebende Gesellschaft sein. In ethischer Hinsicht toleriert eine offene Stadt natürlich Unterschiede und fördert Gleichheit. Gleichzeitig aber befreit sie in einem spezifischen Sinn die Menschen auch aus der Zwangsjacke des festen Vertrauten, indem sie ein Terrain schafft, auf dem die Menschen experimentieren und Erfahrungen machen können. In Augenschein genommen werden müssen dabei sowohl architektonische Aspekte als auch im Besonderen einzelne Gebäude und ganze Städte sowie deren politischen Systeme. Dafür muss man regelmäßig seinen Schreibtisch verlassen, um die bebaute und bewohnte Welt zu untersuchen. Vor allem gilt es aber auch, den Raum so weit als möglich mitzugestalten.

Das Thema Städtebau als solches ist ein recht komplexes und nicht leicht zu greifendes. Ein gegebener Kenntnisstand in den Bereichen Stadtsoziologie, Geschichte, Architektur oder Politik kann sehr unterschiedliche Ausgangspunkte generieren. Es lassen sich keine klaren Kategorien dafür finden, was eine Stadt lebenswert macht. Genau bei diesem Problem können wir mit einer Unterscheidung Richard Sennetts anknüpfen. Eine Unterscheidung der beiden Kernbegriffe ville und cité.

Mit ville wird die architektonische Stadt, der bebaute und geplante Raum beschrieben. Nun ergibt sich aus einem bestimmten Baustil nicht automatisch auch ein bestimmter (politischer) Charakter oder eine besondere Eigenlogik einer Stadt, welche wiederum nicht einfach reproduzierbar ist. Die ville steht für die von oben geplante Stadt (top down). Unter cité fassen wir all jene Wahrnehmungen und städtischen Eigenlogiken – gewissermaßen die Seele der Stadt – zusammen. Die cité ist zwar jenseits des gebauten Raumes, aber naturgemäß eng mit ihm verbunden. Sie ist so etwas wie der städtische Eigensinn und die aktive Ausgestaltung der Stadt durch ihre Bewohner:innen, die sich selbst und den Raum anordnen, der im besten Fall für sie, aber möglicherweise auch für andere Zwecke gebaut worden ist. Unter cité kann man mehr oder weniger an die Stadt von unten denken (bottom up). Die Unterschiede zwischen ville und cité gilt es herauszuarbeiten und zu verdeutlichen, welche Konsequenzen es hat, wenn Menschen sich einen Raum aneignen, ihn formen und mit ihm die politischen Gegebenheiten der Gesellschaft verändern. Sollte nun Stadtplanung die bestehende Gesellschaft repräsentieren oder sie zu ändern versuchen? Diese Frage lässt sich in der genaueren Auseinandersetzung mit dem top down – bottom up Prozess vertiefen.

Auch aus einem gesellschaftlichen Blickwinkel heraus stellen wir fest, dass die gebaute Umwelt meist mehr ist als nur ein Abglanz von Politik und Ökonomie. Über diesen Bedingungen steht die basale Erkenntnis, dass die Formen der gebauten Umwelt das Ergebnis des Willens derjenigen seien, die sie erbaut haben. Nicht zu selten wirken die in jüngerer Zeit errichteten Gebäude rund um den Globus wie individuelle ästhetische Verwirklichungen von Architekt:innen. Die Bauten wirken wie zusammenhangslos in den städtischen Raum gewürfelt. Die Qualitäten für den öffentlichen Raum haben dabei ein breites Spektrum.

Die Frage ist nach dem Verhältnis von gebauter Struktur und der Umwelt der Gesellschaft auf der einen Seite sowie der Beschaffenheit von Gesellschaft auf der anderen. Keine der beiden Seiten kann losgelöst von der anderen betrachtet werden. Sie sind wechselseitig voneinander abhängig, wenn auch beide ein Eigenleben führen und die Zusammenhänge multikausal sind. Hier befinden wir uns im Einklang mit dem in der Soziologie gängigen relationalen Raumbegriff, der Raum nicht als absolut begreift, sondern als einen durch Gesellschaft konstruierten. An dieser Stelle wollen wir nicht zu sehr in konstruktivistische Konzepte abtauchen, sondern ganz klar das Gebaute, die Planungen, die Prozesse hinter den Raumbildungen, die Typen und Formen, die Stadt annehmen kann, im Blick behalten. Durch Fokussierungen auf einzelne dieser Parameter können wir Betrachtungen auf verschiedenen Sphären von Stadt, das Physische oder die (gebauten) Ergebnisse von Aushandlungsprozessen und gesellschaftlichen Diskursen anstellen.

Die offene Stadt ist in weiten Teilen gleichbedeutend mit der Gesellschaft als Ganzes. Jede Stadt und deren Bewohner:innen sind einzigartig. Für die offene Stadt gibt es demnach keine universalen Regeln welchen die Planer:innen zu folgen haben, vielmehr könnten wir beginnen die Stadt und deren Planung dialektisch zu verstehen. Die Stadt ist sowohl Synonym für die Gesellschaft an sich, als auch der Ort, an dem Gesellschaft stattfindet und auf die Widerstände trifft, welche sie selbst formt und in der Wechselwirkung wiederum die Stadt prägt.

Literatur_Richard Sennett (2018). Die offene Stadt – Eine Ethik des Bauens und Bewohnens

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