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Bisher lag der Fokus der Kritik an der schwarz-blauen Bildungspolitik auf dem Ausschluss finanziell Schwacher. Sieht man genauer hin, entpuppt sich das allerdings nur als Nebeneffekt eines größeren Plans. Von Christoph Würflinger

Schon jetzt müssen viele von uns Studiengebühren zahlen. Die Schwarz-Blaue Regierung will darüber hinaus Studiengebühren von bis zu 1.000 Euro im Jahr für alle einführen – nicht sofort, aber doch in absehbarer Zeit. Als das letzte Mal Studiengebühren eingeführt wurden, mussten 45.000 Menschen in Österreich ihr Studium abbrechen. Außerdem plant die Regierung weitere Maßnahmen, um uns durch ein “zügigeres Studium” zu treiben und die “Ernsthaftigkeit” zu erhöhen: Einschränkungen, wie lang man studieren darf, weniger Prüfungsantritte, Beschränkungen wie viele Studien man studieren darf und Vorgaben wie viele ECTS man im ersten Semester schaffen muss. Alle diese Maßnahmen sorgen bei denen, die dadurch nicht zum Abbruch des Studiums gezwungen sind, für ein Maximum an Stress.

Das Studium ist im neoliberalen Verständnis der Regierung eine möglichst kurze Vorbereitungszeit für den Arbeitsmarkt. Wer nicht möglichst schnell und brav studiert, hat später keine Chance. Das Studium an sich soll den Wünschen der zukünftigen Firmen-Chefs unterworfen werden. Nicht zufällig wurden die Studienpläne bei der Einführung des Bachelor-/Master-Modells derart vollgestopft, dass für individuelle Interessen und den Blick über den Tellerrand kaum Platz bleibt. Was der Wirtschaft nichts bringt, wird einfach weggelassen. Nach drei Jahren in der Bildungsfabrik sollen wir als abgehärtete Arbeitsroboter für Gratis-Praktika, 12-Stunden-Tage und 60-Stunden-Wochen bereitstehen.

„Begleitet von Unsicherheit, Druck und Konkurrenz sollen wir ECTS-Punkten nachhecheln und unhinterfragt Powerpoint-Folien in uns hineinstopfen.“

Auf dem Weg dorthin werden wir Studierende bereits an die Ellbogengesellschaft gewöhnt. Durch die Beschränkung der Studienplatz-Kapazitäten und die Einführung von Knock-Out-Prüfungen bereits vor dem Studium (im beschönigenden Polit-Sprech “Studienplatzfinanzierung” genannt) kommt es zu einem gnadenlosen Kampf um die Chance, studieren zu können. Schon im Bachelor heißt es: Jeder gegen jeden. Begleitet von Unsicherheit, Druck und Konkurrenz sollen wir ECTS-Punkten nachhecheln und unhinterfragt Powerpoint-Folien in uns hineinstopfen. Mit echter Bildung, die ihre Zeit braucht, hat das nur mehr wenig zu tun. Gemeinschaftliches Lernen, persönliche und charakterliche Weiterentwicklung und kritisches Denken bleiben auf der Strecke.

Diese Entwicklung ist kein Zufall und auch kein Alleinstellungsmerkmal der Universitäten. Die ganze Gesellschaft wird nach diesem Modell umgebaut. Ein Vorbild ist Deutschland: Indem man den Sozialstaat mit Kürzungen aushöhlt (Stichwort Hartz IV), zwingt man die Menschen, Lohnsenkungen hinzunehmen und jeden noch so beschissenen Drecksjob anzunehmen, nur um nicht weiter vom Amt gedemütigt und schikaniert zu werden. Ziel ist es, wie in Deutschland die Löhne zu senken um Investoren möglichst profitable Bedingungen anzubieten – im Gegensatz zu anderen Niedriglohnländern mit hoch entwickelter Wirtschaft, qualifizierten Arbeitskräften und politischer Stabilität. Dieses System kann aber nur dann funktionieren, wenn Arbeitslose zur Abschreckung unter unzumutbaren Bedingungen leben müssen.

„Wenn die Sozialministerin sagt, man könne mit 150 Euro monatlich auskommen, dann ist das natürlich haarsträubender Unsinn.“

Die ersten Schritte in diese Richtung wurden bereits getan. Ziel sind der Regierungspropaganda zufolge Flüchtlinge und AusländerInnen; treffen wird es aber alle, die in einer beinharten Konkurrenz-Gesellschaft auf Hilfe angewiesen sind. Wenn die Sozialministerin sagt, man könne mit 150 Euro monatlich auskommen, dann ist das natürlich haarsträubender Unsinn, und das ist ihr auch bewusst. Sie hat damit aber erreicht, dass öffentlich diskutiert wird, was das absolute Minimum ist, das ein Mensch in Österreich zum Überleben benötigt – im Gespräch sind dann vergleichsweise großzügige Summen von 300, 400, 500 Euro. Kleiner Hinweis: Wer in Österreich weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens (1.238 Euro monatlich) bekommt, gilt als armutsgefährdet. Wir reden also darüber, wieviel ein Mensch braucht, um gerade nicht zu verhungern. Sollten wir nicht darüber reden, wie das Problem der extremen Vermögens-Konzentration in den Händen weniger gelöst werden und es allen Menschen so gut wie möglich gehen kann?

Arbeitslosigkeit soll so unattraktiv wie möglich gemacht werden, damit viele verzweifelte und anspruchslose ArbeiterInnen zur Verfügung stehen, die sich von Arbeitgebern alles gefallen lassen müssen. Es reicht dabei nicht, dass man wenig Geld bekommt – es braucht auch den absoluten Verlust jeder Würde von Arbeitslosen. Nicht umsonst schicken deutsche “Jobcenter” Privatdetektive aus, um vermeintlich ungerechtfertigte Zahlungen zu entdecken und Bedürftigen so auch noch den letzten Cent zu rauben. Mit dieser Disziplinierung der Gesellschaft versucht die Regierung, ihre reichen Geldgeber und Partei-Spender aus der Wirtschaft zu bedienen. Sie tastet sich Schritt für Schritt vor und lotet aus, wie weit sie gehen kann, ohne einen Aufstand zu riskieren. ArbeiterInnen sollen wie in Zeiten der Industriellen Revolution für ein Butterbrot am Tag schuften, damit sich die oberen Zehntausend den zehnten Sportwagen, die fünfte Villa oder die dritte Jacht kaufen können. Retten kann uns nur eine radikale Abkehr von diesem Turbokapitalismus und die Einführung eines Systems, in dem das Wohl aller an erster Stelle steht.

Foto: Luigi Caputo

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