Viele sprechen von der Qual der Wahl, von wahlweise einer weisen Wahl oder aber von der anstößigen Wahllosigkeit dieser oder jener Personen. Doch im Grunde bleibt für mich hinter diesen Floskeln die unangenehme Frage, was denn nun so etwas wie eine Wahl eigentlich ist, wie ich sie treffen, von was oder wie ich sie abhalten kann oder wie ich sie und sie mich eigentlich sabotieren kann. Und hierbei spreche ich nicht von den Papierzetteln, die in unschuldigen Pastelltönen viel zu zahlarm in den Urnen der verschiedenen Wahlbezirke landen, sondern von jenen Situationen, in welchen wir Tag für Tag eine Wahl treffen. Welche … Hose/ Marmelade/ Beruf/ Umgangston/ PartnerIn/ Zeitschrift/ Joggingschuhe/ Moral/ … Die Liste scheint endlos. Fangen wir an. Jedes einzelne Produkt unserer materiellen Umwelt wurde Opfer unserer Entscheidung, die Wahl fiel, der Euro auch. Warum habe ich dieses Produkt konsumiert, warum nicht jenes? Ich will euch in die Situation eintauchen lassen, welche mich zu diesem Artikel bewog und welche ich gerade erlebe, um ein Reallife-Abbild meines moralischen Dilemmas zeichnen zu können.
Von Selina Schnickers
Ich sitze im Zug, es ist spät, der Zug rattert durch die Finsternis und mit ihm meine Gedanken. Denn auf meinem Schoß gluckert im Rhythmus der Schienen, unschuldig, doch es kommt mir höhnisch und selbstgefällig vor, eine Flasche Wasser. In meiner klassischen Hast vor der Abfahrt griff ich willkürlich in Supermarkts Regal und intuitiv nach dem Wasser, welches dem Schoße eines Schweizer Großkonzerns entspringt, den ich tun lichst zu meiden pflege. Was ist geschehen? Ich entsinne mich, hektisch auf die Preisschilder geschaut zu haben, billig, billig und anschließend panisch auf den Etiketten nach einem Anzeichen ökologischer Nachhaltigkeit zu suchen. Pro Flasche ein Baum. Unser Wasser – 100% Regen. Jeder Schluck gegen Rechts. Irgendwie sowas. Überzeugt scheint mich letztendlich ein grünes Etikett zu haben, ohne alles, außer dem Versprechen, namentlich für Verbrechen zu stehen.
Eine schöne Wahl! Ich schlussfolgere also, dass ich mich trotz aller Vernunft und Moral oftmals im besten Glauben ordentlich verwähle, und die politischen Wahlergebnisse in Teilen Ostdeutschlands und europäischen Ländern geben mir recht, dass es scharenweise anderen Menschen ebenso geht.
Unser Unterbewusstsein hat die Wahl schon getroffen, bevor uns die Möglichkeiten überhaupt klar werden.
Aber zurück zu dem Getränk als Sinnbild einer Misswahl, einer Entscheidung ohne Weitblick und ernsthafter Erwägung. Größtenteils bin ich gerade nur verärgert. Verärgert darüber, unbewusst konsumiert zu haben. Verärgert darüber, wie leicht ich einem grünen Etikett auf den Leim ging und neuerdings verärgert über die Tatsache, dass so etwas wie eine freie Wahl im Grunde nicht exististiert. Zumindestens behaupten das die Forschenden der Artikel, die ich zu diesem Thema gerade wälze. Sie führen an, dass jede von uns als bewusst wahrgenommene Entscheidung im Grunde eine Wahrnehmung mit Zeitverzögerung ist, denn unser Unterbewusstsein hat die Wahl schon getroffen, bevor uns die Möglichkeiten überhaupt klar werden.
Das Geheimnis liege im Hinterfragen gewisser Gewohnheiten.
Im Falle der Flasche zum Beispiel traf ich nicht bewusst die Entscheidung, mein Unterbewusstsein kategorisierte und assoziierte aufgrund der Hetze und Gewohnheit Grün mit Gut und fertig. Im Allgemeinen greift das Unterbewusstsein hierbei auf Emotionen, Gefühle und Erfahrungswerte zurück, um genau diese Hektik und Quantität eines menschlichen Alltags überhaupt meistern zu können. Diese Automatismen sind zwar eingeschliffen, lassen sich jedoch ändern, so die Forschenden. Das Geheimnis liege im Hinterfragen gewisser Gewohnheiten. Und das ist anstregend. Aber nicht unmöglich, so die Wissenschaft.
Wasserflasche hin oder her, könnte nun gesagt werden, allerdings kann das Reflektieren der unbewussten Automatismen viel Gutes bringen – vor allem bei menschlicher Interaktion und Emotionen.