Bei einer Kernschmelze überhitzen zuerst die Brennstäbe, etwa weil die Kühlung ausfällt, und wird das Gehäuse rissig, kann hochgefährliches Material austreten. Es folgen verheerende Schäden für Mensch und Umwelt. Etwas Ähnliches passiert der SPÖ gerade in Sachen Hochschulpolitik. Ihr Parteichef Kern präsentierte am 11. Jänner ein Bündel an Forderungen, die direkt aus dem Giftschrank neoliberaler Politik entnommen sind: Zugangsbeschränkungen für alle Fächer, verschärfte Konkurrenz zwischen Unis, Rankings und Elitenförderung. Der „Plan A“, den Kern als großen Wurf verkauft, ist alter Wein in neuen Schläuchen und verdient das Etikett „toxisch“.
Ein Kommentar von Kay-Michael Dankl
„Das Problem sind die Studierenden“
Störfaktor Studierende – diesen Eindruck erweckt Kerns Forderung, Zugangsbeschränkungen für alle Studien einzuführen. Die Qualität des Studiums könne nur steigen, so die Argumentation, indem man weniger Studierende an die Uni lässt. Das ist so, als würde man bei chronisch überfüllten Bahnsteigen Leute auf die Gleise stoßen anstatt mehr Züge fahren zu lassen. Es ist bekannt, dass die Zahl der StudienanfängerInnen eher steigt als sinkt. Kein Wunder – die Arbeitswelt wird immer weiter digitalisiert und mechanisiert. Da ist es naheliegend, dass junge Menschen versuchen, eine weiterführende, höhere Ausbildung zu erreichen.
Das Ziel, die Studienqualität zu steigern, ist ein schönes – wer würde widersprechen? Aber es ist ein Irrweg, Studierende gegeneinander auszuspielen. Die Lebensträume junger Menschen zu verbauen, weil man staatliche Mittel lieber in unsinnige Bauprojekte steckt, in Politiker-nahe Stiftungen verschiebt oder private Firmen subventioniert, anstatt dringend benötigte Hörsäle zu bauen oder zusätzliche Lehrende einzustellen, ist zynisch. Schon jetzt gibt es in einigen Studienrichtungen Aufnahmeprüfungen, die ganz unverhohlen das Ziel verfolgen, Studierende vom Studium fern zu halten. Auch die STEOP hat die Bundesregierung eingeführt um sie im Bedarfsfall als Knock-Out-Prüfung gegen die Studierenden richten zu können.
Kern: alles für den Markt
Die Sozialdemokratie kämpfte einst für die Öffnung der Hochschulen. Höhere Bildung, so das Ziel, sollte nicht ein Privileg einer konservativen Oberschicht bleiben. In den 1970ern, unter Bundeskanzler Kreisky und Bildungsministerin Firnberg, wurde der Zugang zu Universitäten durch die Abschaffung von Hürden wie Studiengebühren massiv ausgeweitet. Gleichzeitig wurde die Universität als ein Ort gedacht, der nicht wie ein Königreich einiger weniger Professoren funktionieren sollte, sondern an dem Studierende, Lehrende und Forschende demokratisch über ihr Studium und ihr Arbeit entscheiden sollten. Die Uni-Angehörigen bekamen Mitbestimmungsrechte in den Gremien.
Aber warum will SPÖ-Chef Kern denn neue Zugangsbeschränkungen? Es ist wohl keine vorsätzliche Studierendenfeindlichkeit. Es ist vielmehr Teil einer neoliberalen Logik: Es sei Aufgabe der Politik, rentable Möglichkeiten zu schaffen, wie Kapital gewinnbringend veranlagt werden kann, um Jobs zu schaffen und damit die Wirtschaft wächst. Diesem Ziel sei alles unterzuordnen. In dieser Logik kann es besser sein, den Zugang zu Bildung zu verknappen, denn je knapper etwas ist, desto eher steigt der Preis. Wenn öffentliche Hochschulen die Zahl ihrer Studienplätze dramatisch reduzieren, entstehen neue Chancen für teure Privat-Unis. Dort bekommen Studierende dann für teures Geld das, was vorher die öffentlichen Einrichtungen bereitgestellt haben. Das ist zwar nicht effizient und auch nicht sozial gerecht, aber es treibt den teuren Privat-Unis viele studienwillige junge Menschen in die Arme. So entstehen neue Möglichkeiten, Kapital zu vermehren.
Wer hat, dem wird gegeben.
In dieselbe Kerbe schlägt Kerns Vorschlag, drei “Eliteuniversitäten” in Österreich zu schaffen. Diese sollen dann in den weltweiten Rankings zu den besten 100 Unis zählen. Wie soll das erreicht werden? Indem die Konkurrenz zwischen den Unis um die knappen Gelder verschärft wird. In Deutschland wurde das unter dem Titel “Exzellenzinitiative” betrieben. Die Folge war, dass eine Handvoll Hochschulen überproportional viele Mittel bekam – und die breite Mehrheit der Unis durch die Finger schaute. Das Perfide: Jene Unis, die jetzt schon über besonders viele Mittel verfügen, schneiden in Rankings besser ab und würden dann dafür belohnt – mit noch mehr Geldern. Die von Kern gewünschte Konkurrenz würde zu einer solchen Konzentration von Geldern bei einigen wenigen auf Kosten vieler führen. Ganz nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wir noch mehr gegeben. Wer nichts hat, dem wird auch das noch genommen.
Gleichzeitig würde eine Verschärfung des Wettbewerbs die Maßstäbe verschieben, an denen sich Unis und Lehrende orientieren. Nur mehr das, was Gelder einbringt, ist etwas wert. Auf der Strecke bleiben jene Lehre und Forschung, die sich nicht sofort rentiert, aber vielleicht trotzdem einen Wert für unsere Gesellschaft hätte. Ein trauriges Beispiel ist die Uni Wien, wo kürzlich eine renommierte Professur für Menschenrechte umgewandelt wurde in einen Lehrstuhl für internationales Wirtschaftsrecht mit dem Schwerpunkt Investitionsschutz (TTIP lässt grüßen!).
Von TINA zu “Plan A”
„There is no alternative“ (TINA): Mit diesem Wahlspruch hat haben die britischen Konservativen mit Margaret Thatcher den neoliberalen Großangriff auf Gewerkschaften, Sozialstaat, ArbeitnehmerInnen und das öffentliche Bildungswesen gestartet. Es dauerte nicht lange, bis die ideen- und strategielos gewordene Sozialdemokratie selbst in den neoliberalen Mainstream einschwenkte. Seitdem vertreten SozialdemokratInnen in ganz Europa eine ähnlich marktradikale Politik wie Neoliberale, teils mit anderen Akzenten und mit wehleidigen Beteuerungen, man wolle ja eigentlich nicht, aber müsse halt. In der Hochschulpolitik hat die SPÖ in Österreich lange dagegen gehalten und sich tendenziell gegen Studiengebühren augesprochen.
Aber der „Plan A“ von Kern ist keine Alternative zur neoliberalen Politik. „Plan A“ steht eher für eine späte Ausformung von „TINA“ als für eine „Alternative“ zu einem scheiternden politischen Modell. Kern verspricht keine linke Erneuerung der SPÖ und keinen Kurswechsel weg von der neoliberalen Sackgasse, in der unsere Gesellschaft an die Wand fährt. Der “Plan A” ist nur eine modernere Aufmachung einer alten Politik zu Lasten der Studierenden und zu Gunsten des Kapitals.
Es ist ironisch, dass Kern just in der oberösterreichischen Stadt Wels seine Rede hielt. Wels ist bei der letzten Gemeinderatswahl an die rechtsextreme FPÖ gefallen und wird seither stramm rechts regiert. Es ist das auch Scheitern der SPÖ und ihre Unfähigkeit, dem gescheiterten neoliberalen Modell etwas entgegenzusetzen, das den Nährboden für den Vormarsch der Rechten bildet. Mit der Politik des “Plan A” wird Kern aber die FPÖ nicht zurückdrängen, sondern ihr weiter in die Hände spielen.
Es rettet uns Studierende kein höheres Wesen
Es täte der SPÖ gut, nüchtern zu analysieren, in welchen gesellschaftlichen Verhältnissen wir leben und wie sie viele Menschen für die Perspektive einer grundlegend bessere Gesellschaft begeistern kann. Kern, der sich in seinen neoliberalen Wendungen immer weiter steigert, ist dafür offenbar nicht der richtige Parteichef. Hoffen wir, dass die verbliebenen progressiven Kräfte in der SPÖ nicht schulterzuckend zuschauen, wie die öffentlichen Hochschulen ruiniert werden, dass das Gehäuse der SPÖ hält, um ein unkontrolliertes Austreten neoliberaler Uni-Politik einzufangen. In jedem Fall braucht es viele Studierende an allen Hochschulen, die ihr Interesse an einer solidarischen Gesellschaft, die nicht nur auf den Profit hört, ernst nehmen und sich für eine fortschrittliche Uni-Politik einsetzen.
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