Mit dem Ziel, als professionelle TänzerInnen auf der Bühne zu stehen, stellen sich StudentInnen der ganzen Welt der vierjährigen Ausbildung an der Salzburg Experimental Academy of Dance, kurz SEAD. Was die jungen Leute leisten und was dieses Studium im Vergleich mit so vielen anderen Bildungswegen einzigartig macht.
Ein Bericht von Maria Köchler
Wenn man beobachtet, wie die jungen Leute Kaffee kochen, mitgebrachtes Essen mit erklärenden Kärtchen versehen und sich gegenseitig herzlich begrüßen, dann vergisst man leicht, dass man sich hier in dem Gebäude einer Akademie befindet – genauer, in der Salzburg Experimental Academy of Dance. Die Stimmung ist entspannt, fast familiär. Einige frühstücken noch, andere unterhalten sich. Sprachlich kennt man hier keine Barrieren: „Hola“ ist die Antwort auf „Ciao“, kurze Zeit darauf folgt ein „Bonjour“. Spätestens jetzt ist klar, hier handelt es sich um einen ganz besonderen Ausbildungsort: StudentInnen aus der ganzen Welt kommen hierher nach Salzburg, um sich als professionelle zeitgenössische TänzerInnen ausbilden zu lassen und sich diesem herausfordernden Studium zu stellen.
Im Rahmen eines Undergraduate Programms studieren die jungen TänzerInnen Contemporary Dance. Gründerin und Direktorin des SEAD Susan Quinn erklärt ihre Auffassung von zeitgenössischem Tanz folgendermaßen: „Contemporary zeigt Elemente aus dem klassischen und modernen Tanz, es ist akrobatisch, teils theaterähnlich und verwendet Martial Arts. Für mich persönlich ist es die Essenz aller Tanzformen, es vereint sozusagen die besten Tanzelemente in sich.“
Positive Atmosphäre als Priorität
Für Direktorin Susan Quinn ist eine Grundvoraussetzung für dieses Studium ein positives Klima: „Einen schönen Platz zu haben, an dem man ausgebildet wird, eine gute Atmosphäre, das ist bei uns eine Priorität. Wir wünschen allen unseren Studierenden Erfolg, das ist für uns sehr wichtig.“
Dieser Grundsatz bleibt am Sead nicht nur Theorie – er ist schon am frühen Morgen in den Unterrichtseinheiten spürbar. Das zeigt sich in den Klängen von „I‘m Alive“, das die individuellen Aufwärmübungen vor dem Ballettunterricht begleitet, oder darin, dass der Contemporary-Dozent seinen StudentInnen eindringlich vermittelt, nicht an sich selbst zu zweifeln. Der einfache Satz „Don’t doubt yourselves“ führt innerhalb kürzester Zeit zu einem besseren Ergebnis bei einer schwierigen Übung.
Einen Teil dieser angenehmen Stimmung macht auch die stark präsente Individualität aus. Schon beim Aufwärmen achtet jede/r auf sich selbst und führt Übungen durch, die sein/ihr Körper in diesem Moment braucht, jedoch ohne misstrauische oder konkurrierende Seitenblicke, wie es im TänzerInnenmilieu oft der Fall ist. So liegen manche entspannt am Boden, andere dehnen ihre Beine, wieder ein/e andere/r steht im Handstand. Ebenso individuell ist der Kleidungsstil der StudentInnen – von Ballettschuhen über Socken bis Jogginghose, Leggings, Pullover und T-Shirt in den unterschiedlichsten Farben und Formen – und mitunter auch die Ausführung der Tanzschritte. Ballettlehrer und Leiter der Ballettfakultät Cristian A. Tarcea, der seinen Abschluss an der Rumänischen Nationalen Ballettschule gemacht hat, ist auch darauf bedacht, jede/n Einzelne/n nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu korrigieren und herauszufordern.
Die hohe Konzentration während des Ballettunterrichts ist im Raum so deutlich zu spüren, dass sie beinahe greifbar erscheint. Cristian fährt in den Übungen ein schnelles Tempo, die StudentInnen sind unheimlich fokussiert und geben ihr Bestes. Dem Auge des erfahrenen Balletttänzers entgeht dabei nichts, aber die angenehme Stimmung im Raum nimmt in keinem Moment ab. Das fördert Cristian auch durch seine ruhige Stimme, wenn er eine Übung lobend abschließt: „Find a balance, release the bar. Good guys.“
Die Besten der Besten
Um aber überhaupt in die Lage zu kommen, bei so qualifizierten LehrerInnen studieren zu können, müssen die StudienanwärterInnen einen anspruchsvollen Bewerbungsprozess durchlaufen.
„Wir bieten mittlerweile eine der besten zeitgenössischen Tanzausbildungen weltweit und haben in etwa 500 Anwärter für 23 Studienplätze in einem Jahr“, erklärt die aus New York stammende Susan Quinn, die selbst lange Zeit als Tänzerin mit der renommierten Merce Cunningham Company auf der Bühne stand.
Um einen dieser begehrten Studienplätze zu bekommen, zeigen die jungen TänzerInnen in einer ersten Runde ein eigens vorbereitetes Solo. Diese Möglichkeit steht ihnen an verschiedenen Terminen in 14 Ländern zur Verfügung. In einem zweiten Schritt werden die Besten der ersten „Auditions“ nach Salzburg zu einer intensiven Woche eingeladen, in der sie nicht nur ihr tänzerisches Können unter Beweis stellen müssen, sondern auch die Fähigkeit, miteinander zu arbeiten. Die schon am Sead Studierenden machen diese Woche laut Susan Quinn meistens zu einer Party. „Das ist für die BewerberInnen natürlich nicht so einfach, sie sind dann hin- und hergerissen zwischen dem Spaß, den sie haben und der Konkurrenz, die in dieser Zeit besteht“, lacht sie.
Ein weiterer Punkt, der das Sead als Studienplatz so beliebt macht, sind die großartigen Lehrenden, die teilweise selbst inmitten ihrer Tanzkarriere stehen und den jungen Leuten viel Feedback geben. Auf diese Weise wird die Ausbildung so persönlich als möglich gestaltet und schafft eine attraktive Atmosphäre. Auch GastdozentInnen werden regelmäßig eingeladen, um den StudentenInnen viele verschiedene Ansichten darzustellen und neue tänzerische Wege zu ermöglichen. Einer davon ist der Brite Jos Baker, der in Brüssel lebt und als Tänzer, Choreograf und Lehrer arbeitet. Er unterrichtet die Sead-StudentenInnen in dem Fach „Contemporary“: Hier wird viel am Boden gearbeitet, akrobatische Elemente sind in die Übungen eingebaut, die körperliche Anstrengung ist hoch. Als Unterstützung müssen die StudentenInnen bei manchen Aufgaben laut mitsprechen: „In-out-in-out-in-…“ begleitet ein wiederkehrendes Zusammenziehen und wieder Öffnen des Körpers in den verschiedensten Positionen. Um aus einer Brücke in eine Bauchlage am Boden zu kommen, hilft ein „Baaah“. Was anfangs lustig klingt, bringt nach kurzer Zeit tatsächlich sichtbare Fortschritte. Die StudentenInnen arbeiten sehr hart, wer scheitert, gibt hier nicht auf: „Baa- Shit!“ Die Tänzerin fällt auf den Boden, rappelt sich auf und beginnt von vorne.
Jos Baker fasst das in Worte: „Es ist der Enthusiasmus und das Engagement der Studierenden, was ich hier so schätze. Sie arbeiten eigenständig und wollen lernen, sie investieren sehr viel.“
Unwillkürlich taucht da die Frage auf, warum das an anderen Universitäten und Fakultäten so anders ist. Was wäre, wenn die gleichen Aussagen von ProfessorInnen an allen Fakultäten kommen würden? Oder wenn die StudentInnen aller Fachbereiche an der Universität Salzburg so hochmotiviert wären? Bestünde die Möglichkeit, ein so positives Coaching auch an der PLUS einzuführen? Wie würde sich der Studienalltag dann verändern? Das sind Fragen, die (vorerst) offen bleiben.
Auf in die Zukunft
Das Studium am Sead dauert vier Jahre. Die StudentInnen beginnen im ersten Jahrgang mit der Stufe „Grounding“, gehen dann über in „Locating“, absolvieren das dritte Jahr „Defining“ und schließen mit „Going on“ ab. Die Namen der einzelnen Stufen sind Programm und stehen für den Prozess, den die TänzerInnen durchmachen. Neben der tänzerischen Bildung ist auch die persönliche Entwicklung ein Teil davon: Alle sechs Wochen schreiben die StudentInnen eine Selbstreflexion, um ihren persönlichen Prozess als Künstler zu dokumentieren. „Nach vier Jahren haben sie sozusagen ein Buch über sich selbst, das könnten sie publizieren“, schmunzelt Direktorin Susan Quinn.
Was aber kommt für die TänzerInnen nach dem Studium in Salzburg?
„Unsere Leute sind für eine Karriere auf der Bühne ausgebildet“, betont Quinn. Deshalb werden die AbsolventInnen auch aktiv bei der Suche nach einer für sie passenden Kompanie oder einem geeigneten Ensemble an einem Landestheater unterstützt. Eine Möglichkeit ist dabei die „hauseigene“ Kompanie „Bodhi Project“, wo graduierte StudentInnen intensiv Bühnenerfahrung sammeln können.
Gibt es auch TänzerInnen, die keine Zukunft auf der Bühne anstreben?
„Selbstverständlich haben wir auch immer wieder StudentInnen, die nach diesen vier Jahren einen ‚normalen‘ Beruf erlernen möchten. Wichtig ist aber, dass sie in ihrer Zeit am Sead ein starkes Selbstbewusstsein bekommen haben und wissen, was sie wollen“, erläutert Susan Quinn.
Und das kann auch ganz einfach die Gründung einer Familie sein, wie im Fall einer ungarischen Tänzerin und ihres Wiener Studienkollegen, die nach dem Studium am Sead gemeinsam 4 Kinder bekommen haben.
Schallmooser Hauptstraße 48a, 5020 Salzburg
Tel: +43-(0)662-624 635
Das Sead bietet auch ein Kursprogramm für tanzinteressierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene an: http://www.sead.at/index.php/kurse