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Ab dem 16. November besetzten Aktivist*innen der Initiative „Erde brennt!“ für knapp einen Monat mehrere Räume der PLUS. „Erneuerbare Energien statt fossiler Abhängigkeit – für eine lebenswerte Zukunft für alle“ lautete die Losung. Ein paar Anmerkungen zum zeitgenössischen Klimaprotest in Salzburg und anderswo.

Von David Mehlhart

Ge, sag’ amal

Es gibt aktuell kein Entkommen: Was früher der Smalltalk über das Wetter war, ist jetzt das Sich-gegenseitig-Erläutern, wie man zum Klimawandel und der daran anknüpfenden politischen Debatte steht. Die Diskussion erstreckt sich vom großelterlichen Küchentisch, über das Uniseminar bis hin zur Sonntagspredigt in der Kirche. Es liegt in der Natur der Sache, dass wenn eine Debatte bis in die Haarspitzen der Gesellschaft vordringt, mit steigender Quantität der Beiträge gleichzeitig die Qualität abnimmt. Das ist der Preis der viel gelobten pluralistischen Demokratie. Carl Friedrich Gauß und seine Glockenkurve grüßen.

Besonders seit sich junge Aktivist*innen vermehrt dazu entschlossen haben, das Festkleben auf Straßen zum Protestmittel der Wahl zu machen, wird der Ton, ausgehend von bürgerlich-konservativen Medien, rauer und aggressiver. Wahlweise Klimakleber oder Klimachaoten lauten die Schlagworte, unter denen das arrivierte Boomertum zu Felde zieht. Schließlich leidet der kleine Mann*die kleine Frau am meisten unter dieser Form des Protestes, wenn die Pendlerstrecken lahmgelegt werden. Den eifrigsten Besitzstandwahrern war es nicht einmal zu blöd, von einer Klima-RAF zu sprechen, so als ob die ersten Wirtschaftsbosse schon in Kofferräumen verschwunden wären. Doch hält diese Schwarzmalerei einer Konfrontation mit der (Salzburger) Realität stand? Ist der Klimaaktivismus so weit gediehen, dass er Staat und Kapital aus den Angeln heben kann und den Industriestandort Österreich auf Jahrzehnte der internationalen Konkurrenz preisgibt?

unüberwindbare Gegensätze?

Also nur ein weiterer Generationenkonflikt, in dem jugendlicher Idealismus auf die Vernunft der Alten prallt? So wirkt es zumindest auf den ersten Blick. Man verstehe ja das Anliegen, aber muss denn ausgerechnet so darauf aufmerksam gemacht werden, hört man die gemäßigteren Stimmen sagen. Anstatt das öffentliche Leben und in weiterer Folge Wirtschaft zu sabotieren, indem man Menschen daran hindert, rechtzeitig am Arbeitsplatz zu erscheinen, gäbe es doch auch bessere Wege den Klimawandel aufzuhalten. Mit genügend Anstrengung und Hirnschmalz ließen sich womöglich technische Lösungen finden, um innovativ auf diese Krise zu reagieren. Nebeneffekt: Der ein oder andere müde Euro würde auch noch erwirtschaftet werden. Weiterer Nebeneffekt: Garstige Proteste, die der konfliktscheue Homo Austriacus eh ums Verrecken nicht leiden kann, würden so der Vergangenheit angehören.

Die Hand ist also mehr als ausgestreckt und einem klimagerechten Burgfrieden steht im Grunde nichts mehr im Weg. Man hat aus der Vergangenheit gelernt. Als man in den 60er und 70er Jahren — frei nach Mao — noch forderte, gegenüber dem Feind müsse ein Trennungsstrich gezogen werden, setzt man heute auf Kooperation und Einvernehmen. Gerade mit Blick auf den Salzburger Ableger von „Erde brennt“ scheint sich dieser Eindruck zu bewahrheiten. 

Im Selbstverständnis1 der Gruppe ist festgehalten, dass die „fossilen Abhängigkeiten“ zu Gunsten „erneuerbarer Energien“ aufgegeben werden müssen. Die Abhängigkeit von Öl und Gas ist der „gemeinsame Ursprung“ der „eskalierenden Klimakrise“, aber auch des Krieges in der Ukraine und der verheerenden Inflation. Der entscheidende Zusatz der Forderung: es geht um eine „lebenswerte Zukunft für alle“.

Siehe da: Von wegen RAF, Terror und Anarchie! Wollte man seinerzeit noch per Klassenkampf (aus dem das Proletariat bitteschön siegreich hervorzugehen hat und die Expropriateure der alten Ordnung mindestens enteignet werden sollten) gesellschaftliche Probleme lösen, ist von solchen Dinge heute nicht mehr die Rede. „Gut so“ hört man quer durch die Bank. Vom linksliberalen Ende des politischen Spektrums bis hin zu den Konservativen herrscht die Meinung vor, dass die parlamentarische Demokratie, so wie sie seit knapp 80 Jahren (mehr oder weniger) Usus ist hierzulande, ausreicht, um die Klimakrise in den Griff zu kriegen. Wir leben in neuen Zeiten und mit angestaubter Klassenkampf-Rhetorik eines Karl Marx ließe sich heute kein Blumentopf mehr gewinnen, da die Probleme anders gelagert sind, heißt es dann weiter. Partizipation statt Expropriation. 

das WIr als one big family

„Die Krisen unserer Zeit können wir nur kollektiv bewältigen“, wird im Selbstverständnis weiter festgehalten. Doch ist das so? Mitnichten! Immer wieder bekommt man zu hören, dass wir als globaler Norden etwa Schuld am Klimawandel tragen. Gleichzeitig darf dessen Bekämpfung aber nicht bloß auf der Ebene der „individuellen Konsumentscheidungen“ stattfinden, wie es bei „Erde brennt“ weiter heißt. 

Ist dem wirklich so? Mitnichten: Acht Jahrzehnte konfliktvermeidende Sozialpartnerschaft und die dazugehörige intellektuelle Zurichtung in den Schulen und Universitäten hat dazu geführt, dass in politischen Debatten kaum mehr eine Forderung geäußert wird, deren Subjekt ein wie auch immer abstrakt geartetes Wir ist. Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s allen gut, lautet ein überstrapazierter Gründungsmythos der Zweiten Republik.

Doch im Falle des Klimawandels, dessen Folgen für zig Millionen Menschen schon jetzt spürbar werden, muss das Kind beim Namen genannt werden. Wenn eine Hörsaal-Besetzerin gegenüber Salzburg24 festhält, „dass dieses Problem nur gesamtgesellschaftlich zu lösen ist“, hat sie nicht unrecht — aber eben auch nicht ganz recht. Die vielbeschworene Gesellschaft darf nicht eine beliebig füllbare Leerstelle bleiben, die mal dies und mal jenes bedeutet. Vielmehr muss ein Vokabular gefunden werden, das erlaubt, die Dynamiken, Grundmomente und Spezifika dieser Gesellschaft klar zu erkennen, um dementsprechend auch Kritik üben zu können. Dennnoch verstellt dieses überstrapazierte abstrakte wir den Blick auf die wahren Gründe des menschengemachten Klimawandels.

Der Löwenanteil des CO2, das Tag für Tag in die Atmosphäre geblasen wird, geht auf die Kappe der Wirtschaft und diese ist — Stand jetzt — kapitalistisch organisiert. Das ist auch kein verfemtes Wissen oder dergleichen, sondern wird vom Soziologieprofessor bis hin zur ÖVP-Politikerin frei heraus bestätigt. Einmal mit mehr Zähneknirschen, einmal mit weniger. Witz dieser Form der Vergesellschaftung ist, dass man von Krise zu Krise schlittert, wenn der Kapitalismus ins Stocken gerät oder, um es exakter auszudrücken, kein Wert mehr erzeugt und verwertet werden kann. 

Dem gegenüber stehen die dazu benötigten Ressourcen, die gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass sie eben nicht unendlich verfügbar sind.2 An dieser Stelle tut sich nun ein recht gravierender Widerspruch auf, der immer noch seiner Lösung harrt.

Will man den Klimawandel also ernsthaft in den Griff bekommen und nicht nur oberflächliche Kosmetik betreiben, wird man sich früher oder später die Fragen stellen müssen, ob die liberale Demokratie mit der zentralen Institution des privaten Eigentums dazu überhaupt in der Lage ist. 

Dass diejenigen, die die Verfügungsmacht über die Verteilung und den Einsatz von Ressourcen haben, sich gegen diese Erkenntnis sträuben, ist selbstredend. Kommt man also nur in die Nähe dieser Überlegungen, werden die Blicke immer schiefer, denn es müssen lang gehegte Überzeugungen hinterfragt werden. Die Gesellschaft als Schicksalsgemeinschaft, wo man füreinander da ist und Wärme und Geborgenheit spendet, wenn’s mit dem Klima eng wird, geht sich — um es österreichisch auszudrücken — also einfach nicht mehr aus.  

abgebrüht oder desillusioniert?

Würde man diese Erkenntnis als Basis des eigenen Engagements fürs Klima heranziehen, stünde man schnell im diskursiven Abseits. Realitätsfern, Undemokratisch, zu exkludierend oder gar extremistisch lauten die Attribute, die einem*r zugeschrieben werden, wenn man sagt, was ist. 

So weit ließ es „Erde brennt“ in Salzburg erst gar nicht kommen und man agierte von Beginn an mit einer nüchternen Fernsicht, die sich in einem Forderungskatalog3 äußerte, der auf der Webseite publiziert wurde und dort immer noch nachgelesen werden kann. Im Stile abgebrühter Berufspolitiker*innen wurden die geforderten Maßnahmen fein säuberlich ausziseliert und gleich an die zuständige Instanz gerichtet. So finden sich Punkte, die auf der Stadtebene behandelt werden sollten (z.B. Radwege), welche für die Landesebene (z.B. Ausbau von Windkraft) und zum Schluss jene, die vom Bund in Angriff genommen werden müssen. 

Einzig allein hier kommt man einer radikalen Gesellschaftskritik ein wenig nahe, indem man die „Vergesellschaftung der Energiekonzerne“ fordert, um diese — zumindest zu einem gewissen Grad — der kapitalistischen Konkurrenzlogik zu entziehen. Ein Über-die-Stränge-Schlagen ist nicht automatisch ein Ausweis guter und richtiger Kritik. Wenn sie aber derart eingehegt und handzahm ist, erscheint sie in erster Linie desillusioniert. 

Auch aus der Reaktion der PLUS auf die Besetzung lässt sich einiges über den Status quo des zeitgenössischen Klimaprotestes erfahren. Diese reagierte nämlich nicht irgendwie panisch oder drohte mit Anzeigen, sondern setzte ebenfalls auf Kooperation und klare Kommunikation. Es war vielleicht auch das erste Mal in der Amtsperiode von Hendrik Lehnert, dass es eine PR-Strategie gab, die nicht komplett dilettantisch durchgezogen wurde. Vielmehr dürfte man sogar froh gewesen sein, dass es in der Uni zu einer Besetzung kam, denn im gegenwärtigen Wettkampf um Studierende und den besten Forschungsstandort macht sich Klimaprotest, zumal wenn er so eingehegt praktiziert wird, mehr als gut auf der Visitenkarte und kann als Bekenntnis zum staatstragenden Kapitalismus mit menschlichem Antlitz verstanden werden.

Irrglaube

Ein zweiter Block mit Forderungen richtete sich an die Uni selbst. Hier war der Tenor, dass der Klimawandel in den Curricula Ausdruck finden muss. Etwa in Form von Ringvorlesungen, Studienergänzungen oder freien Wahlfächern. „Die Uni muss ein Ort werden, an dem Lehrende mit Studierenden gemeinsam interdisziplinär an Lösungen für die aktuellen Krisen arbeiten und Visionen für die Zukunft entwickeln“ lautet jener Punkt, der die Stoßrichtung am besten erahnen lässt. Daneben sollen die Mensen vermehrt lokal, regional und vegan kochen. 

Dieser Ball wurde von der Universitätsleitung dankend angenommen und man einigte sich Mitte Dezember in großkoalitionärer Manier auf eine Abschlusserklärung4, in der sich beide Parteien — so schrieb die Uni in einer Aussendung — zu Maßnahmen bekannten. Diese erstrecken sich von der Studienergänzung „Klimawandel und Nachhaltigkeit“ bis hin zur Verleihung eines „climate justice awards“, der besonders klimafreundliches Lehrpersonal auszeichnen soll.

Zwar hielt „Erde brennt“ fest, dass die geforderten Lehrveranstaltungen eine „systemkritische und lösungsorientierte Auseinandersetzung mit unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem“ beinhalten solle und auch das Rektorat zeigte sich spendabel insofern man Geld in die Hand nehmen wolle. Wenn man aber an die Umsetzung denkt, schwant einem Übles.

Schließlich kennt man seine Pappenheimer*innen an der PLUS. Die derzeit größten Ressourcen hinsichtlich der universitären Verun- bzw. Gestaltung der Klimadebatte dürften wohl am Fachbereich Psychologie gebündelt sein. Dort leistet man sich den noblen Spaß einer eigenen Abteilung für Umweltpsychologie und auch die Initiative „PLUS Green Campus“ ist dort angesiedelt. 

An mehreren Stellen wurde in der uni:press schon vor den dort stattfindenden Umtrieben gewarnt.5 Kein Problem ist zu groß, um den Menschen nicht so lange zurechtzukonditionieren, bis er am Ende das gewünschte Verhalten zeigt. Erleichternd kommt hinzu, dass sich die gegenwärtige Psychologie des lästigen Faktors „Gesellschaft“ entweder schon längst entledigt hat und sämtliche Herausforderungen auf den*die Einzelne*n abgewälzt – sei es nun Stress oder eben der Klimawandel – oder man ebenso von einem abstrakten Wir schwadroniert. Und so findet der liberale Klimadebatten-Topf nun endlich auch seinen universitären Deckel. Ende gut, alles gut.


Vor einiger Zeit schrieb Aylin Eichberger einem analytisch scharfen und zugleich unterhaltsamen Text, dass man sich nicht mehr der naiven Hoffnung hingeben dürfe, die kommende Revolution — und sei es nur ein klimaneutrales Österreich — würde ihren Ausgang in der Academia nehmen. „Wer zum Erlernen eigenständigen Denkens auf eine Universität angewiesen ist, baut auf Treibsand“6 schrieb sie weiter. Mit Blick auf den eingehegten Protest von „Erde brennt“, der am Ende mehr ein Kooperationsangebot war, dürfte sich dieses Urteil erneut bewahrheiten.

Verweise:

1: m Folgenden wird in erster Linie auf den Salzburger Ableger von „Erde brennt“ Bezug genommen werden. Die Initiative ist insgesamt sehr heterogen und auch die inhaltliche und praktische Ausrichtung innerhalb Österreichs variiert sehr stark. Zitate stammen allesamt von dieser Webseite: https://erdebrennt.at/sbg/selbstverstandnis/
2: nteressierten wird die Lektüre dieses Textes wärmstens empfohlen: Norbert Trenkle, Lizenz zum Klima-Killen: https://www.krisis.org/2019/lizenz-zum-klima-killen/
3: Forderungskatalog „Erde brennt“: Salzburg: https://erdebrennt.at/sbg/forderungen/
4: Diese kann hier nachgelesen werden: https://www.plus.ac.at/wp-content/uploads/2022/12/Abschlusserklaerung-ueber-die-Einigung-zwischen-Erde-Brennt-Salzburg-der-OeH-und-dem-Rektorat-der-Paris-Lodron-Universitaet-Salzburg_2022_12_12.pdf
5: David Mehlhart, Die Universität als gigantische Skinner-Box: https://unipress.oeh-salzburg.at/die-universitaet-als-gigantische-skinner-box/
6: Aylin Aichberger, Ein Bällebad aus Bullshit-Blasen: https://versorgerin.stwst.at/artikel/06-2020/ein-ballebad-aus-bullshit-blasen

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