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Mit dem folgenden Bericht aus Querétaro in Zentralmexiko wollen wir einen kleinen Einblick in das Leben hier bieten und auch ein wenig Werbung für diese verrückte Welt hier machen – vor allem an alle, die eine unbürokratische Alternative zu einem Praktikum im Sprachenbereich suchen oder einfach nur Erfahrung im Ausland sammeln wollen, richtet sich der Beitrag. Man lernt hier allerdings mehr als nur das Unterrichten!

Von Lena Hötzendorfer und Mario Karelly

Drogen, Tequila und schnauzbärtige Mariachis – das kommt einem wohl in den Sinn, wenn man so an Mexiko denkt. Zumindest ging es uns so. Warum wir uns für das Land des florierenden Drogengeschäfts entschieden haben? Nun ja, das wissen wir auch nicht so genau. Eigentlich Zufall: „Social Media“ wurde ausnahmsweise seinem Attribut gerecht! Die Stellenausschreibung des Centro Alemán in Querétaro auf der Germanistik-Facebookseite schlug an. Schnellentschlossen und motiviert durch den immer näher rückenden Studienabschluss und die Erkenntnis einer nahenden Lehrer*innenkarriere haben wir uns dazu entschlossen, uns zu bewerben. Außerdem bietet diese Gelegenheit die perfekte Alternative zum unbezahlten und zugleich aus professionsorientierter Perspektive wenig gewinnbringenden Masterpraktikum an einer x-beliebigen Schule in Österreich, die sich um ein paar Student*innen erbarmt. Ein berufsbegleitender Abschluss des Masters kam für uns nicht in Frage – entweder, oder. Gesagt, getan: Auf ein Bewerbungsschreiben folgte ein total unbürokratischer Bewerbungsprozess. Die Dauer und den Zeitpunkt des Praktikums konnten wir frei auswählen. So stand der Beschluss fest: wir verbringen also fünf Monate als Praktikant*innen in einer deutschen Sprachschule im Zentrum von Mexiko. 

Vorkenntnisse? Naja!

Unser vages Vorwissen zu diesem verrückten Land (ja, der Meinung sind wir nach wie vor) determinierte unsere Vorbereitungen. Gesundheit und Sicherheit, das waren wohl die zwei zentralen Themen, über die wir uns im Vorhinein Gedanken gemacht haben. Vor allem die so heilige E-Card gilt ja nicht mehr – wir verlassen den „Safespace“ EU. Ganz schön gefährlich: Darüber sind sich unsere Familienmitglieder einig. Ein paar Impfungen und eine Reiseversicherung waren im Großen und Ganzen dann schon alles, was wir im Vorhinein für diese Reise (und unsere Familien) machen konnten. … und zack saßen wir Anfang August schon im Hightech-Bus (!) von Mexiko Stadt in Richtung Querétaro. Sind wir gerade wir gerade wirklich in Mexiko? JA! Diese Busse zeigen uns gleich die vielfältigen Widersprüche, mit denen wir hier in Mexiko ständig in Kontakt kommen. Denn im Bus erfahren wir Folgendes: Stiegen wir eine Station später aus, stünden wir inmitten einer der am heftigsten umkämpften Städte in Mexikos Drogenkrieg: Celaya. Gleichzeitig erfahren wir, dass wir beruhigt sein können – denn die Busunternehmen zahlen Schutzgeld an die Kartelle. Ob uns das nun beruhigt oder beunruhigt, wissen wir nicht. 

Das Leben im “Safespace” Querétaro

Was uns beruhigt, sind die Ankunft und die ersten Eindrücke in Querétaro, der Stadt, in der der „war on drugs“ Halt macht: Hier wohnen die Familien der Kartell-Eliten (so lautet zumindest das Gerücht). Unsere vorübergehende Heimat präsentiert sich als authentische, bunte und sehr freundliche Kolonialstadt. Unsere WG liegt direkt gegenüber unserer Schule – zwar nicht in einer gated community (das ist hier total angesagt), aber inmitten von kleinen Gassen mit niedrigen, einstöckigen Häusern sehr ruhig gelegen und trotzdem mitten im Zentrum. Die ersten Eindrücke bleiben begrenzt (naja: zumindest mit dem ersten Skorpion bzw. hier: Alacrán kommen wir in unserer WG in Kontakt – ein Schock!), denn nach einem Tag Akklimatisierung gings für uns schon mit der Arbeit los. Das war nicht weiter schlimm, denn die Arbeit bereitet uns von Anfang an große Freude. Das familiäre Klima in der kleinen Sprachschule gibt uns sofort das Gefühl, hier willkommen zu sein. Das Kollegium besteht aus 12 Lehrer*innen und es gibt ca. 150 aktive Schüler*innen. Diese sind nicht nur aktiv, sondern auch hochmotiviert, Deutsch zu lernen, vor allem jene, die beabsichtigen, das Land zu verlassen und sich ein neues Leben in Deutschland (von Österreich wissen die meisten noch nichts) aufzubauen. Denn so gut wir es als Europäer*in hier haben (man ist als Ausländer*in eher Tabu für Übergriffe), viele Mexikaner*innen fühlen sich in ihrem geliebten Land von Gewalt, Korruption und Armut bedroht (darüber soll jedoch in einem eigenen Artikel berichtet werden).

 Querétaro und seine “magische” Umgebung

Uns werden hier jedenfalls auch die besten Seiten dieser Region im Herzen von Mexikos Hochland (wir liegen hier auf gut 1800 m Seehöhe) gezeigt. Unsere Schüler*innen und neu gewonnenen Bekanntschaften machen uns mit der mexikanischen Kultur und dem hiesigen Lebensstil vertraut. Am Wochenende flüchtet man aus der Großstadt und fährt in die sogenannten pueblos magicos, wie zum Beispiel Tequisquiapan oder Peña de Bernal – dort bestaunt man meist eine der zahlreichen und bunten Kolonialkirchen, genießt köstliches Essen und lauscht der immer vorhandenen mexikanischen Musik. Apropos Essen: dieses Thema ist nicht nur in der praktischen Umsetzung von großer Bedeutung, sondern bietet für die Mexikaner*innen in jedem kulturellen Austausch einen umfangreichen Gesprächsstoff (Achtung: das mexikanische Essen, das wir in Europa kennen, ist meist „Tex-Mex“, also eine Kombination aus mexikanischer und US-amerikanischer Küche). Das Alter, ab dem man scharf isst, wird hier ähnlich wie das Alter der ersten Schritte eines Kindes besprochen. Bevorzugt man Salsa verde oder Salsa rojo? Welches sind die Lieblingstacos? Wo gibt es das beste Essen in Mexiko? Querétaro wird von den Einwohner*innen nur als mittelmäßig eingestuft, wobei sich die kulinarische Hochburg für viele in Oaxaca befindet. Wir persönlich sind dennoch der mexikanischen Küche auch in Querétaro verfallen – egal ob an für Europäer*innen meist hygienisch fragwürdigen Straßenständen oder authentisch hippen Restaurants, das Essen schmeckt überall köstlich! Tacos, Enchiladas, Gorditas, Esquites … – die Bandbreite der verschiedenen Geschmacksrichtungen ist riesig. Dennoch sollte man sich vor „Montezumas Rache“ in Acht nehmen. Einer aztekischen Legende zufolge belegte Montezuma, ein Aztekenfürst aus dem 16. Jahrhundert, Eindringlinge aus Spanien mit einem Krankheitsfluch. So spricht man heute noch von seiner Rache, wenn Menschen aus dem Ausland sich eine unangenehme Magen-Darm-Infektion einfangen. Bis jetzt wurden wir als Eindringlinge glücklicherweise noch verschont (dachten wir zumindest – bis Lena kurz vor Redaktionsschluss mit dem Fluch belegt wurde).

Stadt und Land in Zentralmexiko

Neben Tagesausflügen in die bereits erwähnten pueblos magicos erreicht man mit dem Bus von hier aus viele weitere Attraktionen Mexikos. So konnten wir beispielsweise nach einer dreistündigen Busfahrt (begleitet von einem Militär- und Polizeikonvoi – keine Ahnung wieso, die haben wahrscheinlich irgendjemand gesucht; kommt hier wohl häufiger vor) die Sierra Gorda, ein riesiges Biosphärenreservat nordöstlich von Querétaro, besuchen. Die Vielfalt dieses Landes wird uns hier so richtig vor Augen geführt. Wir wanderten durch bewaldete Schluchten bis hin zu tropischen Avocado Plantagen, dann wieder durch die Halbwüste und vorbei an faszinierenden Bergformationen. Der Bergsport ist hier allerdings eine absolute Randsportart und wir treffen auf unseren Wegen keine Menschenseele. Auf der Route kommen wir jedoch immer wieder an abgeschiedenen Bauernhöfen vorbei, wo uns die Hunde teilweise in Angst und Bange versetzen. Der Spruch „Bellende Hunde beißen nicht“ trifft hier offensichtlich zu. In Querétaro bellen einen die vielen Vierbeiner nur aus ihrer Behausung an, in den kleinen Dörfern am Land und in anderen Städten streunen sie abgemagert nach Essen suchend herum. Leider wird uns hier auch die extreme Armut der mexikanischen, großteils noch indigenen Landbevölkerung bewusst. Es ist einfach ein Land der Extreme. Kein Tag vergeht, an dem einen das nicht bewusst wird. Das zeigt sich besonders auch in Mexiko Stadt, wo man ebenfalls in drei Stunden mit dem Bus hinkommen kann. Angekommen in der Megametropole (ca. 22 Millionen Einwohner*innen) wird man von der überraschend grünen Stadt begrüßt, in der sich faszinierende Bauwerke, einerseits moderne Architektur und andererseits klassisch mexikanische Gebäude aneinanderreihen. Wir sind begeistert! Unsere Tasche behalten wir trotzdem lieber nah am Körper. Beruhigt durch die schöne Atmosphäre erkunden wir die Stadt größtenteils zu Fuß und schnell merken wir: das Flair kann sich ziemlich schnell ändern. Biegt man einmal in die „falsche“ Straße ab, fühlt sich irgendwie alles anders an. Auf einmal begegnen wir keiner Menschenseele mehr, die Häuser sehen heruntergekommen aus – lieber schnell wieder raus hier. Ob sich unser Gefühl bewahrheiten würde oder nicht wissen wir nicht. Unser Free-Walking-Guide rät uns allerdings auch, gewisse Viertel zu meiden – während man an der einen Straße bis spät in die Nacht problemlos entlang spazieren kann, gilt das Viertel zwei Straßen weiter als eines der gefährlichsten in ganz Mexiko. Man kann hier jedenfalls die Geschichte Mexikos nachempfinden oder in einem der vielen Museen mexikanische Kunst bewundern (uns gefallen besonders die berühmten Muralisten, wie Diego Rivera oder Gabriel Flores, und natürlich die Ikone Frieda Kahlo, die einem überall ins Auge stechen). Im Stadtteil Roma etwa fühlt man sich wie in den klassischen (Edel-)Hipster-Bezirken Berlins und es wird einem der westliche Einfluss, man kann es kritisch auch Gentrifizierung nennen, bewusst – naja: es ist halt eine Großstadt mit allen Facetten und Problemen. 

Verrücktes Land voller Widersprüche 

Es gäbe noch viel zu erzählen, zum Beispiel von der komplett irren Woche (!) rund um den mexikanischen Nationalfeiertag, an dem uns der schon fast krankhafte Nationalismus der Mexikaner*innen vor Augen geführt wurde. Gefeiert wird mit dem berühmten Ausruf „Viva México!“ (ohne „la“!) des Unabhängigkeitskampfes von 1810 – ein Kampf der eigentlich nicht vorbei ist. Denn die Feier selbst erinnert paradoxerweise vielmehr an die sinnlose Glorifizierung der „Stars and Stripes“ am 4. Juli im nördlichen Nachbarland, dem repressiven großen Bruder, dem man vieles nachmacht (zu nennen ist da z.B. die verblödende, kulturindustrielle Kopie des nordamerikanischen Wrestlings: „lucha libre“, das wir in Mexiko-Stadt sehen konnten – die Leute sind diesem „Sport“ verfallen). Es war und ist ein unterdrücktes Land (nicht nur aus genannter Richtung, auch Europa spielt dabei eine Rolle und natürlich sind die Kartelle nicht zu vergessen, aber zu dieser komplexen Situation an anderer Stelle mehr). Dieser Eindruck, den die reflektierten Einwohner*innen und leider sehr stark unterdrückter politischer Widerstand auch bestätigen, prägt jedenfalls unseren Aufenthalt. Dennoch bietet dieses Land so viel spannende Kultur und Natur und die Mexikaner*innen sind einfach ein liebenswertes Volk. Davon konnte hoffentlich ein kleiner Eindruck entstehen. Mit dem Día de Muertos (mexikanisches Allerheiligen/Allerseelen) steht jedenfalls ein mexikanisches Kultur-Highlight vor der Tür, egal ob gläubig oder nicht (puh: über den dominanten Katholizismus hier wurde noch gar nichts gesagt) Naja: Und nebenbei wird natürlich auch Halloween gefeiert, womit ein anderer Fetisch die Leute beseelt! 

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