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Island

Es gibt viele bereisenswerte Länder, die bereichernde Eindrücke versprechen und spannende Kulturen beheimaten. Wer allerdings auf der Suche ist nach einem Ort, an dem der Alltag tatsächlich unwichtig wird, wo die eigene Existenz in Kommunikation mit der Umgebung tritt und eine allgemeine Ruhe herrscht, die nicht von Menschen ausgeht, dann gibt es genau ein Ziel: Island.

Von Maria Köchler


Landeanflug auf den Flughafen Keflavík, das Meer geht über in mehr als karges Land, dunkelbraune Erde, an wenigen Stellen überzogen von Moos, pulverisiertes Vulkangestein soweit das Auge reicht. Und trotzdem stellt sich bei mir ein Gefühl des Ankommens ein, obwohl ich diese Insel im Norden Europas zum ersten Mal bereise.

Das war im Juli 2015. Am 31. Dezember 2016 sitze ich erneut in einem Flugzeug mit Kurs auf Keflavík. Wird das Gefühl gleich sein wie beim letzten Mal? Gespannt warte ich darauf, dass Schottland unter uns verschwindet und nach dem Meer wieder Land in Sicht kommt. Plötzlich fühle ich mich wie ein Kind, das nach langer Zeit zurück nach Hause kommt. „Da sind die versteinerten Trolle vor der Küste!“ Ich hänge an der kleinen Luke, die mir Sicht nach unten gewährt, meine Aufregung ist unübersehbar. Kurze Zeit später sitzen meine Reisegefährten und ich im Mietauto Richtung Südosten und erneut stellt sich das mittlerweile bekannte Gefühl ein: Ruhe, Ankommen, Verbundenheit. Was vielleicht kitschig klingt, ist für mich ein Phänomen. Es ist, als ob die Insel uns willkommen heißen würde.

Namen, Namen, Namen

An und für sich ist Island – besonders im Winter – ein karges Land: Es gibt wenig Waldflächen und weite Landstriche, die von Vulkanausbrüchen gekennzeichnet sind. Und trotzdem herrscht eine einnehmende Atmosphäre, trotz der Ruhe steht die Insel nie still. Am Fuß der Hügel, die beinahe wie aufgeschüttete Ascheberge wirken, finden sich Gesteinsbrocken, die erst vor Kurzem dort zum Liegen gekommen sein müssen. Der Pulverschnee wird vom Regen wieder weggewaschen, gibt den Blick auf rote Erde und winterschlafende Wollgraswiesen frei, die im Sommer in sattem Grün blühen. Es dauert nicht lange, bis nach dem nächsten Sturm ein neuer Schneefall kommt und die Insel wieder zudeckt. Unbeeindruckt von diesen Wetterwechseln bleiben in erster Linie die Pferde und die Isländer selbst. Das Land bleibt in Bewegung.

Vulkanausbrüche und Erdbeben gehören zum Alltag, doch was hier definitiv nicht zu spüren ist, sind Gefühle wie Angst oder Sorge. Die Vulkane haben Namen, über sie wird gesprochen wie über gute Freunde: „Hekla ist am aktivsten, wir warten schon auf ihren nächsten Ausbruch“ – so etwa die Besitzer eines Hofes mit ungefähr 70 Pferden und 100 Schafen, die auch der Überzeugung sind, dass man in der fortwährend gleichen Hügellandschaft im Süden Islands nicht verloren gehen kann, weil Hekla als Fixpunkt am Horizont immer den Weg weist. Ich als Nicht-Isländerin habe mich dort trotzdem einmal ordentlich verirrt.

Der vom Rest der Welt gefürchtete Eyjafjallajökull wirkt bei Steingrímur Jónsson eher wie ein freundlicher Nachbar, der immer da ist, wenn er sich nicht gerade hinter den Wolken versteckt.

Doch nicht nur die Vulkane, auch die Höfe haben Namen, von denen jeder einzelne wiederum eine Bedeutung trägt. Steinsholt beispielsweise bezeichnet nicht nur ein Guesthouse und den dazugehörigen Hof, sondern liefert auch gleich die Erklärung mit, dass dieser auf einem Steinhügel liegt.

Das besondere Verhältnis zu Namen setzt sich auch bei den Menschen fort: Isländer sind in ihrer Art zum Teil etwas verhalten und lassen manches unausgesprochen – was vielleicht auch ihr Namenssystem erklärt: Der Nachname ergibt sich meistens aus dem Vornamen des Vaters und dem Wort für „Tochter“ oder „Sohn“. Der oben genannte Steingrímur ist also der Sohn von Jón, während ich Maria Danielsdóttir heißen würde, wäre ich in Island geboren worden. So ist anhand der Namen nicht unbedingt ersichtlich, wer zu einer Familie gehört.

Ein kleines Problem, das sich bei der geringen Einwohnerzahl von gut 330.000 daraus ergibt, ist die Frage der Verwandtschaft, die man rein am Nachnamen nicht erahnen kann. Doch der modernen Technik sei Dank: Um Dates oder mehr mit zu nahen Verwandten zu vermeiden, gibt es eine App, die anhand einer Datenbank das familiäre Verhältnis überprüft.

Island

 

Von Naturwundern und ewigen Autofahrten

Wer sich auf Island einlässt, stolpert quasi von einem Wunder ins nächste. Da wären zum einen die Phänomene, die diese Insel weltbekannt gemacht haben: Der Geysir Strokkur bricht zum Beispiel regelmäßig im Abstand von wenigen Minuten in eine 25 bis 35 Meter hohe Wasserfontäne aus. Im Winter gefriert das kochend heiße Wasser an der kalten Luft innerhalb kürzester Zeit – und überrascht unaufmerksame Touristen als nach Schwefel riechender Eisregen.

Ein weiterer Magnet ist Gullfoss, der goldene Wasserfall. Während er bei Sonnenschein seinem Namen alle Ehre Macht und in einem goldenen Glanz erstrahlt, scheint er im Winter mit seinen vereisten Rändern direkt einer magischen Landschaft wie aus C.S. Lewis‘ Narnia zu entstammen.

Geografisch am spannendsten ist wohl der Nationalpark Þhingvellir, wo die eurasische und die amerikanische Kontinentalplatte aufeinandertreffen und beständig auseinanderdriften – um etwa 7 mm pro Jahr.

Diese Besonderheiten machen Island aus – doch die Insel lebt nicht nur davon. Die Weite der Landschaft und auch die Tierwelt sind sehr prägend. In welchem anderen Land würden junge Erwachsene freiwillig 7 Stunden Autofahrt in Kauf nehmen, um für eine Stunde Robben beobachten zu können und sie mit Fischresten eines authentischen isländischen Fischhändlers zu füttern versuchen? Wenn man bedenkt, dass man in der gleichen Zeit beinahe sechs Mal zwischen Linz und Salzburg hin- und herfahren könnte, müsste ich meine Reisegruppe und mich eigentlich für verrückt erklären. Wenn ich aber an die auf den Steinen faulenzenden Robben denke, deren Blick nichts entgeht, die blitzschnell abtauchen und neugierig aus dem Wasser lugen, dann weiß ich, dass wir zwar vielleicht ein bisschen verrückt sind, die lange Fahrt sich aber mehr als gelohnt hat.

Allgegenwärtige Elfen und andere Normalitäten

„If you don’t like the weather in Iceland, just wait five minutes …“

Dieser Spruch ist auf einigen Souvenirs zu finden und er entspricht definitiv der Wahrheit. Auf dieser Insel gelten eigene Gesetze und als Besucher hat man die Wahl: Sich zu ärgern, wenn man seinen eigenen Willen nicht durchsetzen kann – oder aber die Gegebenheiten annehmen und darauf vertrauen, dass sich alles so fügen wird, wie es sein soll. Wer dahinter steckt, sei dahingestellt, aber einen wesentlichen Anteil haben garantiert sie daran: Die Elfen. Dass das Wetter kurz vor unserer Reittour von wolkenbruchartigem Sturmregen auf trockenen isländischen Wind wechselte, war kein Zufall. Und falls doch, wer hat dann den Würfelzucker in der Jackentasche einer der Reiterinnen versteckt?

Was für uns Festlandeuropäer außergewöhnlich klingt, ist für Isländer normal. Ebenso sind es die durchgehend hellen Tage im Sommer mit der Mitternachtssonne und die lange Dunkelheit im Winter, die auch zum hellsten Zeitpunkt des Tages nicht über eine Dämmerung hinauskommt. Oder auch die Nordlichter, die sich in sternenklaren Nächten immer wieder majestätisch über den Himmel spannen und kaum merklich bewegen und Muster zeichnen.

Für mich steht auf jeden Fall fest: Island verbreitet Ruhe wie kein anderes Land sonst und ich werde auf jeden Fall nicht das letzte Mal dort gewesen sein. Zum Glück gilt für Menschen eine andere Regelung als für Pferde: Denn hat ein Islandpferd die Insel einmal verlassen, darf es nie mehr zurückkehren.

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