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Über den hierzulande zelebrierten Titelfetischismus wurde schon Manches gesagt und vielen gilt er als ein Kernelement des Austriakismus. Das Infragestellen der Legitimität von Titeln wäre ein tollkühner Ritt gegen die österreichische Identität, und wird deshalb nie gemacht. Stattdessen kapriziert man sich auf falsch gesetzte Fußnoten und übt sich im lahmen Querulantentum.

Von David Mehlhart

Hierzulande herrscht das Primat der Form über den Inhalt. Die politischen Diskussionen der jüngeren Vergangenheit legen eindrücklich Zeugnis davon ab. HC Strache wurde nicht etwa ob seiner, durch unzählige Fotos belegten, Verhaberung in der Neonazi-Szene von der politmedialen Bühne geschasst oder weil er jahrzehntelang rassistischen Müll von sich gab, sondern weil er das Pech hatte, dabei gefilmt zu werden, wie er eine vermeintliche Russin in die Betriebsabläufe dieser Republik einwies. Und bei der Sonntags-Krone gilt: Es ist ein offenes Geheimnis, dass keiner (außer ein paar wirklich ehrliche Trottel, die es halt auch braucht) für die Sonntagsausgabe zahlt; trotzdem wird scheinheilig am Münzkästchen gerüttelt, um etwaigen Passant*innen keinen Grund zum Misstrauen zu bieten. Wenn mit Herbert Kickl keiner koalieren will, liegt das nicht daran, dass er ein allzu besorgter Patriot (lies: mieser Rassist) ist, sondern daran, dass er seine Ideen von der natürlichen Überlegenheit des Homo Austriacus zu rumpelstilzchenhaft vorträgt, anstatt im arrivierten Brustton seiner korporierten Parteigenossen.

Was auf der politischen Bühne dieses Landes gilt, gilt erst recht hinter den Mauern der österreichischen Universitäten. Deren Autonomie sowieso immer nur ein Vorwand war, um Parteigänger*innen noch scham- und konsequenzloser in Gremien und auf Professuren zu platzieren. Man darf sich deshalb keine Illusionen machen: Eine Dissertation etwa besitzt in Österreich in erster Linie eine Formfunktion. Was da wirklich drinsteht, interessiert im besten Fall den Begutachter oder die Begutachterin, und selbst dieser Umstand ist zu bezweifeln. 

Am augenscheinlichsten wird dieser Umstand bei Titelverleihagenturen wie etwa der University of Salzburg Business School GmbH, einer 100%-Tochter der PLUS. Man erinnere sich an die Causa rund um den Chef der Zillertal-Bahn, Helmut Schreiner, im Juni 2023, als dieser seinen Sessel räumen musste, als dieser aufgeblattelt wurde, da seine Dissertation von vorne bis hinten zusammen kopiert hatte. 22.000€ dürfte Schreiner die Dissertation, die am Ende keine war, gekostet haben. Die Business School selbst hat den Gondel- und Geistesmenschen zu diesem Behuf an die Universität Riga weitervermittelt, wo er die Arbeit schlussendlich einreichte. Ein derartiges Vorgehen samt dem Hin- und Herschieben von Kompetenzen und Zuständigkeiten sollte einen normalerweise skeptisch machen. Erinnert es doch sehr an das Geschäftsgebaren halbseidener Gauner, die ihre Gewinne über zehn Briefkästen um die halbe Welt schicken, um allzu eindeutige Spuren zu verschleiern.

Hinzu kommt, dass es als komplett natürlich erachtet wird, dass ein Mann, der, so ist zu vermuten, dem Gondelgewerbe in Vollzeit nachgeht, einfach so nebenbei eine Doktorarbeit aus dem Hut zaubert. An- und Abreise nach Riga zu etwaigen Besprechungen mit dem Betreuer inklusive. Gemeinhin hat ein Tag nur 24 Stunden und jeder Studi wird bestätigen können, wie nervenaufreibend es sein kann, z.B. neben einem Teilzeitjob noch eine halbwegs vernünftige Seminararbeit vom Stapel zu lassen. Und das ist auch genau der Punkt, an dem die ganze Diskussion rund um Plagiate und akademische bzw. publizistische Redlichkeit krankt. 

Das soll nicht den Diebstahl von geistigem Eigentum relativieren (looking at you ChatGPT), sondern dass sich die Diskussion um den falschen Gegenstand dreht. Interessanter als die Frage, ob Politikerin X oder Vorstandschef Y ein paar mal zu oft kopieren und einfügen geklickt haben, ist die Frage nach der Funktionsweise einer Öffentlichkeit, die kollektiv dem Titelfetischismus derart verfallen ist. Der äußert naive Fehler besteht also schon darin, zu erwarten, dass man Menschen, die sich aus freien Stücken dem Highperformer-Lifestyle hingeben und noch nie eine Bibliothek von innen gesehen haben und dann noch glauben, ihre Karriere noch mit der Dissertationskirsche dekorieren zu müssen, bekehren kann, indem man sie mit irgendwelchem Redlichkeitsschmafu behelligt.

Diese anale Trotzreaktion legt eben nicht die verquere Wechselwirkung von Titel und Gesellschaft offen, sondern verstärkt sie viel mehr. Die absurde Spitze erreicht diese Abschreibcharade, wenn der hiesige „Plagiatsjäger“ Stefan W. gegenüber der New York Times angibt, dass es sich beim Großteil seiner Kunden um Männer handelt, die ihren Ex-Frauen im Zuge einer Scheidung noch so richtig eins reinwürgen wollen. Die zweite Kundengattung sind Menschen, die den Auftrag erteilen, Plagiate in den Abschlussarbeiten ihrer Nachbar*innen ausfindig zu machen, um diese dann bei Streitigkeiten rund um den Verlauf der Grundstücksgrenze usw. in Stellung bringen zu können. Angesichts aktueller Ereignisse wird man sagen wollen, lieber dem Erzrivalen aus der Siedlung ein Plagiat anhängen, als ihn mit dem Jagdgewehr über den Haufen zu ballern. Dass die Suche nach Plagiaten in realiter weniger ein Kreuzzug um die akademische Sauberkeit willen ist, sondern dem Revenge-Porn beträchtlich näher steht, als einem lieb sein sollte, wird so offensichtlich. 

Heißt das also, dass all jene, die sich durch Schummeleien und gekonntes Tricksen auf gutdotierten Sesseln sitzen, seelenruhig zurücklehnen können? Im besten Fall natürlich nicht. Auch wenn Österreich sich zwar Republik schimpft, in echt aber eher einem Wolpertinger, bestehend aus Adelsverstatzstücken mit tribalistischen Verhaltensweisen, ist, sollte man die Idee der Meritokratie nicht aufgeben. Das erfordert aber eine grundsätzlichere Auseinandersetzung mit den (un-)ausgesprochenen Regeln des politischen wie auch universitären Betriebs, der sich gegenwärtig vor allem entlang Verhaberung und stumpfes Stangehalten einerseits und dümmlichen Kennzahlen wie der Menge an Zitationen und impact andererseits reproduziert.

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