Seit mehr als zwei Jahren ist man an den Anblick halbleerer Straßenzüge und Touristenmeilen gewöhnt. Wiederum ein Ort, der bereits vor der Seuche meistens halb leer war, ist der örtliche Tempel des Ausverkaufs. Die lieb- und lebloseste Begegnungszone weit und breit: Willkommen im McArthurGlen-Designeroutlet.
Von Schiaches Salzburg
Langeweile – offenbar in Kombination mit leicht masochistischer Veranlagung – treibt einen dazu, die seltsamsten Dinge zu tun. Es gibt keine andere Erklärung dafür, dass ich neulich freiwillig im McArthur Glen-Designeroutlet gelandet bin. Der Ort heißt „Himmelreich“ und es ist ziemlich ironisch, dass diese Vorhölle des Designs ausgerechnet hier zu finden ist.
Überfluss und Leere
Von außen unsinnig-prunkvoller Retortenbau der Marke russischer Oligarch mit zu viel Tagesfreizeit. Ein (Irr-)Garten der (Un-)Lüste, ein Labyrinth des gediegen aussehensollenden Non-Designs und unfreiwilliger Liminalraum für alle humans of late capitalism.
Exkurs: Liminalität
Anthropologisches Konzept, zurückgehend auf Arnold van Gennep und Victor Witter Turner. Beschreibt einen Schwellenzustand, eine Übergangsphase zwischen zwei fixen Zuständen.
Von innen im Prinzip dasselbe: Auch ein Liminalraum, nur eben für Mode. Out-of-Season-Ware im Übergang zwischen alten und neuen Kollektionen. Das Zeug ist locker noch gut tragbar aber eben nicht mehr taufrisch released. Kleidung zwischen den Saisonen bereit zum Ausverkauf. Aus Herstellersicht noch die Lager leeren und Kohle machen, bevor der textile Überschuss zum Greenwashing in irgendwelche Recyclinghöfe (aka. auf Deponien und Endlager in Afrika und Asien) verschifft wird.
Der Zeitraum außerhalb der Raumzeit
Auffallend: Sehr viele Geschäftsflächen stehen leer. Ebenso wenige Menschen sind unterwegs. In den Food-Courts sitzt niemand. Dass das örtliche Stiegl-Lokal „Zeitraum“ heißt, wirft bei mir die Frage auf, ob ich mich noch in der normalen Raumzeit befinde, oder ich schon in einem Backroom der Realität bin. Alle Quadranten sehen gleich aus. Das weirde, bei längerer Betrachtung zu Fadenkreuzen verschwimmende Fliesenmuster und die promenadenhaften, in scheinbar unendliche Länge gezogenen Hauptsichtachsen tun ihr übriges dazu.
Vor dem Karl-Lagerfeld-Shop tummeln sich ein paar wackere Schnäppchenjäger, die die Kontrolle über ihr Leben verloren haben. Seine Worte, nicht meine. Jogginghosen in der Außenwelt.
In irgendeinen Laden muss ich endlich reingehen für die full experience of McArthurGlen. Ich entscheide mich für einen großen Sporthändler, dessen Name mit B. wie Backroom beginnt. Was kann bei Sportartikeln schon schief gehen? Beim Anblick einer „Paris, London, Mailand, Zell am See“-Haube für den Willichnichtmalgeschenkthaben-Preis von nur 25 €, weiß ich, was schief gehen kann und verlasse den Laden wieder. Wer hier schonmal ein Schnäppchen gemacht hat, werfe den ersten Stein.
Im Purgatorium der Individualität
Ich frage mich, ob ich dauernd nur im Kreis gehe, oder ob hier tatsächlich alles, inklusive der Ausverkaufsmode, ziemlich gleich aussieht. Aus der Hugo-Boss-Auslage lächeln mir hirnverbrannt irgendwelche, auch ziemlich gleichaussehenden, Influencer:innen entgegen. Paradox, dass so gut wie jede Marke ausgerechnet mit Individualität wirbt. Ausverkauf im Dom der Einfalt. Immerhin: Die Architektur passt zu ihrem Zweck.
Ein Stockwerk tiefer: Das Kinderparadies, wo Eltern ihre lieben Kleinen parken können. Es sieht aus wie ein Szenenbild für den drölfzighundertsten Saw-Teil. Wer seine Kinder liebt, lässt sie beim Shoppen zuhause. Wer seine Kinder hasst, nimmt sie mit ins Outlet-Center. Und wer sie nachhaltig lebenslang traumatisieren will, schickt sie ins Kinderparadies. Dinoland, planet fun. Der leicht sadistisch lächelnde Dino am Eingang freut sich schon.
Alles muss raus
Vorbei an einem stillstehenden Mini-Kinderkarussell und unbenutzten Massagesesseln geht es wieder in das obere Stockwerk. Leere, von innen schwarz beklebte Schaufenster nebst poppigem „Alles muss raus“. Und es stimmt. Alles muss raus. Inklusive ich, von hier.
Überwältigt von der Tatsache, gerade fast zwei Stunden in einer Umgebung mit dem Charme einer unbegrünten Kreisverkehrsmittelinsel verloren zu haben, suche ich das (ganz ganz) Weite. Tschüss Outletcenter! See you never.
Über die Autorin:
Schiaches Salzburg: Mein Name ist Programm. Ein Insta hab‘ ich auch. Dort gibt es found objects, Kurioses aus dem öffentlichen Raum und andere schiache Sachen aus der schönsten Stadt Österreichs. Folgen kann man mir hier: @schiaches.salzburg oder www.schiach.at
Ajo. Und Kowi studiert hab‘ ich auch mal…