Im Schatten des Arabischen Frühling wurde im Norden Syrien die multiethnische autonome Selbstverwaltung Rojava gegründet. Das revolutionäre Projekt ist Akteuren wie der Türkei oder radikalen Islamisten ein Dorn im Auge. Denn es wird an neuen Formen des Zusammenlebens gearbeitet, die es im Nahen Osten noch nie gegeben hat. Eine zentrale Rolle spielen dabei die kurdischen Frauen.
Von Ariya Azadi
Bei der Überschrift des Artikels handelt es sich um ein Zitat von Abdullah Öcalan, dem Gründer
der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die kurdische Frauenbewegung findet nämlich ihren Ursprung in der PKK. Die PKK wurde im Jahr 1978 gegründet, jedoch nahm sie den bewaffneten Kampf erst 1984 auf. Schon bei der Gründung der PKK waren Frauen dabei, die später zu Symbolfiguren der kurdischen Frauenbewegung wurden. Das Ziel der PKK war damals in erster Linie die Befreiung der KurdInnen, die seit Jahrzehnten einer Zwangsassimilation ausgesetzt waren. Die KurdInnen verleugneten ihre Herkunft und schämten sich für ihre Identität. Das waren die Auswirkungen der systematischen Unterdrückung, der wiederholten Massaker und der Assimilationspolitik seitens der Besatzer. Schon im ersten Programm der PKK von 1978 wurde die Geschlechterfrage thematisiert. Die ersten Ansätze für die Gleichberechtigung der Frau waren schon bei der Gründung der PKK da. Viele Quellen belegen, dass Frauen sich damals neben der Unterdrückung der KurdInnen auch mit der Unterdrückung der Frau befasst haben. Die aktive Bekämpfung des Patriarchats begann aber erst Anfang der 1990er Jahre.
Fraueneinheit – Frauenkongress – Frauenpartei
m November 1993 hat die PKK begon- nen, militärische Fraueneinheiten aufzubauen. Der Aufbau hat in Nordkurdistan das kurdische Gebiet, das von der Türkei besetzt ist, mit ca. 2300 Kämpfe- rinnen begonnen. Im Jahr 1992 fand der erste Frauenkongress statt. Dieser wurde jedoch von den Frauen innerhalb der PKK nicht anerkannt, da die männlichen Teilnehmer die Kontrolle über die Diskussion hatten. Der erste offiziell anerkannte Frauenkongress fand dann 1995 statt und darauf folgte die Bewegung der Freiheit der Frauen Kurdistans (TAJK). Eine Organisation, die ihren Schwerpunkt auf die Förderung der politischen und kulturellen Weiterentwicklung der kurdischen Frauen legte. Unter dem Befehl von Abdullah Öcalan wurde im gleichen Jahr der Verband freier Frauen Kurdistans (YAJK) gegründet. Nachdem Abdullah Öcalan 1999 von den türkischen Behörden verhaftet wurde, sprach die PKK einen einseitigen Waffenstillstand aus. Es folgte auch eine offizielle ideologische Neuausrichtung, die jedoch schon lange intern diskutiert wurde. Im Zuge dieser Neuausrichtung und der Reformen wurde die Frauenpartei „Partei der werktätigen Frauen Kurdistans“ (PJKK) gegründet. Seit dem 5. Frauenkongress 2002 organisieren sich die Frauen unter dem Namen „Partei der Freiheit der Frauen Kurdistans“. Die Union der freien Frau (YJA) ist die politische Organisation der Frauen und der militärische Arm ist die Einheit der freien Frau (YJA Star). Der hohe Frauenrat (KJB) ist der Dachverband dieser beiden Organisationen. Seit 1993 können Frauen entscheiden, ob sie der Frauenarmee beitreten oder jenem Teil der Armee, bei der Frauen und Männer gemischt sind. Diese ganzen Organisationen, Kongresse und Einheiten sind für die kurdische Frauenbewegung sehr wichtig gewesen. Mit der Geschlechterfrage haben sich zuerst einmal nur die PKK-Mitglieder beschäftigt, jedoch gewann die PKK immer mehr Zuspruch in der kurdischen Gesellschaft. Die Sympathie für die PKK führte dazu, dass man sich mit ihrer Ideologie befasste und somit auch mit der Geschlechterfrage.
Der Freiheitskampf der Frauen in Rojava
Mit dem Beginn des Arabischen Frühlings lenkt sich die internationale Aufmerksamkeit auch auf die KurdInnen in diesem Gebiet. Eine Revolution stand für den ganzen Nahen Osten vor der Tür. Man hat begonnen, sich auf den drohenden Krieg und die Revolution vorzubereiten. Die KurdInnen kooperieren weder mit dem Assad-Regime noch mit der Op- position. Ein Verhalten, das sehr viel Erfolg mit sich bringen wird, denn das kurdische Gebiet wird dadurch unabhängiger. Anfang 2011 wird TEV-DEM (Bewegung für eine demokratische Gesellschaft) in Rojava gegründet. Diese hat es sich zum Ziel gemacht, den Demokratischen Konföderalismus, also das Gesellschaftsmodell von Abdullah Öcalan, in die Praxis umzusetzen. Man beginnt mit dem Aufbau der Sprachschulen, Organisationen und der Verfestigung des Rätesystems. In den Kommunen gründen Frauenkomitees und Frauenräte, die für verschiedene Bereiche wie Bildung, Freiheit und Familienzusammenhalt zuständig sind. Mit einem Anteil von mindestens 40% sind sie auch in den allgemeinen Räten präsent. An der Spitze jeder Kommune stehen jeweils eine Frau und ein Mann. Das Co-Vorsitzenden-System und die 40 Prozent-Quote zeigt, dass die Rolle der Frauen in Rojava sehr bedeutsam ist. Eine große und positive Entwickelung, die Frauen in Rojava hart erkämpft haben. Im März 2016 wird das Gebiet Rojava offiziell von kurdischen, arabischen, turkmeni- schen und assyrisch-aramäischen Dele- gierten als de facto autonome Föderation ausgerufen. Sie orientiert sich an dem schweizerischen kantonalen Modell.
Im Jahr 2011 wurde in Rojava die bewaffnete kurdische Miliz unter dem Namen „Volksverteidigungseinheit“ (YPG) gegründet. Die Nachfrage auf eine rein weibliche Verteidigungseinheit war sehr groß, weshalb im April 2013 die Fraueneinheit unter dem Namen „Frauen Verteidigungseinheit“ (YPJ) gegründet wurde. Die YPJ-Kämpferinnen wurden von den Soldatinnen aus der PKK ausgebildet. Sie sehen sich jedoch selbst als von der PKK unabhängig an.
Die mediale Aufmerksamkeit erlangten die Frauen durch ihren Kampf gegen den “Islamischen Staat”. Die Terrormiliz “Islamischer Staat” wurde 2003 gegründet und hat Mitte 2014 ein Kalifat (Gottesstaat) in Gebieten in Syrien und dem Irak ausgerufen. Seit 2014 ist diese Terrormiliz mit ihrer Brutalität offen aufgetreten. Der “Islamische Staat” veröffentlichte Bilder von enthaupteten Zivilisten auf ihren Webseiten und Social-Media-Kanälen. Der “Islamische Staat” ist mit Anschlägen und Attentaten primär im Nahen Osten, später jedoch auch in Europa und den USA aktiv gewesen. Am 15. September 2014 hat der “Islamische Staat” den Kanton Ko- banê, einen Teil Rojavas im Nordwesten Syriens, angegriffen. Kobanê wurde innerhalb der ersten drei Wochen eingekesselt. In den türkischen Medien wurde bereits von einer Niederlage der kurdischen Kräfte gesprochen, und auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war davon überzeugt, dass Kobanê kurz vor dem Fall ist. Die Einheiten YPG und YPJ kämpften Seite an Seite um den Kanton Kobanê. Schließlich wurde seitens der kurdischen Gruppen am 26. Jänner 2015 auf sozialen Medien bekannt gegeben, dass der Kampf um Kobanê beendet sei. Die kurdischen Einheiten YPG und YPJ sind als Sieger hervorgegangen.
Der Kampf um Kobanê spielt in der Frauenbewegung eine sehr wichtige Rolle. Die Mitglieder des “Islamischen Staates” glauben, wenn sie von einer Frau getötet werden, nicht ins Paradies zu kommen. Wenn sie die Kämpferinnen der YPJ und YPG gesehen haben, sind sie oft davongerannt. Während der Kämpfe war die Angst vor den Frauen viel größer als die Angst vor den Männern. Durch die vielen internationalen, aber auch nationalen Medienberichte über Kobanê, sind die Frauen verstärkt sichtbar gewesen. Im Nahen Osten wurde ein Tabu gebrochen. Das Auge der patriarchalischen Gesellschaften hat sich an eine kämpfende Frau gewöhnt, ein großer Schritt gegen das Patriarchat.
Man wollte das Bewusstsein der Frauen für den Geschlechterkampf fördern. Eine bewaffnete Frau war für die feudale Gesellschaft ein neues Bild, denn die Waffe galt für sie als das Symbol eines starken Mannes. In Rojava wurden immer mehr Frauenzentren und Selbstverteidigungsakademien für Frauen gegründet. Der Kampf der Frauen in Rojava spielt eine sehr wichtige Rolle in der kurdischen Gesellschaft. Zu diesem Zeitpunkt gaben die Kämpferinnen in Rojava sehr viele Interviews und sprachen in diesen die kurdischen Frauen direkt an. Sie forderten sie auf, sich in jeder Hinsicht weiterzubilden und bewusst gegen die Unterdrückung der Frauen vorzugehen. Man diskutierte in den privaten Kreisen vermehrt über Frauen und die Entwicklung ihrer gesellschaftlichen Position. Das Thema Gleichberechtigung von Frau und Mann wird seitdem in der kurdischen Gesellschaft mehr als je zuvor diskutiert. Die kurdische Gesellschaft nähert sich der Befreiung der Frauen an und fördert dazu parallel gesellschaftliche Reformen und bildet Strukturen aus, die es in derart im Nahen Osten noch nie gegeben hat.