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Von Yael Gold

Abschied, Verabschieden, Tschüss, Strasse, Schild

66 Namen, 1.100 Seiten Bericht, 0 Konsequenzen? 

Raum ist in der Stadt Salzburg, wie auch überall sonst, begrenztes Gut. Das zeichnet sich ab, wenn wir Debatten um leistbaren Wohnraum führen, aber es zeigt sich eben auch in der Frage danach, wie wir kollektive Räume miteinander gestalten und wem wir Raum geben, oder eben nicht. Wem widmet die Stadt Salzburg also den verfügbaren öffentlichen Raum? Wen erwähnt sie namentlich? Wen ehrt sie? Und warum sind 66 Menschen davon Nazis? 

Noch nicht allzu lange ist es her, dass ein neunköpfiger Historiker*innen-Beirat einen etwa 1.100 Seiten langen Bericht vorgelegt hat, in dem die Biografien von 66 Personen herausgearbeitet und schließlich veröffentlicht wurden, die entweder selbst Nationalsozialist*innen oder eng in das NS-Regime verwickelt waren. Noch nicht allzu lange ist es her, dass diese 66 Namen in drei Kategorien gegliedert wurden, aus denen die Empfehlung hervorging, 29 davon mindestens mit Zusatztafeln zu versehen und bei 13 dringend zu handeln. Und noch nicht allzu lange ist es her, dass ÖVP, FPÖ, NEOS, SALZ und ganz vorne dabei selbstverständlich ÖVP-Bürgermeister Harald Preuner sich dazu entschieden haben, lieber Nazi-Straßennamen zu erhalten als Straßen umzubenennen oder zumindest vernünftige Kontextualisierung zu ermöglichen.

Warum nicht einfach umbenennen?

Trotz deutlicher Empfehlungen der Historiker*innen-Kommission scheiden sich die Geister, was den konkreten Umgang mit besagten Nazi-Straßennamen angeht. Das hat sich zuletzt darin geäußert, dass eine knappe politische Mehrheit sich im September 2021 gegen die Umbenennung der problematischsten Straßennamen entschieden hat. Die einen wollen aus bürokratischen Gründen nicht, dass Adressen sich ändern, die anderen wüssten nicht, nach wem man die Straßen benennen sollte, sodass es fair wäre und wieder andere wollen statt einer Umbenennung oder zumindest Tafeln zur Kontextualisierung lieber QR-Codes, über die man Informationen dann online lesen könnte. Unabhängig davon, was die Ausrede ist, aufgrund derer man sich gegen eine Umbenennung entscheidet, bleibt eine Sache immer gleich: Es ist und bleibt am Ende nichts als eine Ausrede.

Straßennamen werden ständig geändert, neue Straßen gebaut, ihnen werden neue Namen gegeben, Systeme werden aktualisiert und Menschen gewöhnen sich an die Veränderung. Diese Prozesse brauchen Zeit, aber jeder Tag, an dem nicht gehandelt wird, ist ein weiterer Tag, an dem Veränderung und der Prozess, den diese Veränderung braucht, verunmöglicht wird. Der Marko-Feingold-Steg, wenngleich sich hier ganz andere Abgründe des Diskurses auftun und der Umgang der Stadt Salzburg mit den Wünschen von Hanna Feingold, Marko Feingolds Witwe, mehr als problematisch war, ist dennoch ein anschauliches Beispiel dafür, dass Umbenennung funktionieren und das Stadtbild nachhaltig beeinflussen und neu prägen kann. Es ist aber auch nur ein erster, nur sehr kleiner und widerwilliger Schritt nach vorne, in dem die Wünsche direkt betroffener Jüdinnen*Juden nicht respektiert wurden und auf den mit der Abstimmung gegen die Umbenennung von Nazi-Straßennamen wieder fünf Schritte zurück folgten. Man muss sich also fragen, ob es der Stadt Salzburg mit der Umbenennung des Stegs wirklich um die Ehrung Marko Feingolds ging oder nicht vielmehr darum, die Umbenennung dafür zu instrumentalisieren, sich mit falschen Lorbeeren zu schmücken und sich so von der Arbeit an anderen Problemen freizusprechen. 

Der Historiker Robert Kriechbaumer, der nicht Teil der neunköpfigen Kommission war, schlug mit Ausnahme von vier Straßennamen gar vor, statt die übrigen Straßen umzubenennen, die Schilder der besagten Straßennamen mit QR-Codes zu versehen, die dann Informationen online liefern sollten. Das wäre politisch kein Aufwand, denn die Parteien müssten sich – zu ihrem Vorteil – nicht kritisch mit ihrer eigenen Positionierung und Vergangenheit auseinandersetzen, sie müssten keine großen bürokratischen Prozesse durchlaufen und sie wüssten auch ganz genau, dass kein Mensch, aber auch wirklich kein Mensch, jemals einen dieser QR-Codes scannen würde, weil niemand sich den Aufwand macht, am Weg nach Hause, zur Arbeit oder zu Freund*innen die Geschichte jedes Straßennamens zu scannen, sollten diese QR-Codes denn überhaupt jemandem auffallen. Man lebt halt dann damit, dass das wahrscheinlich ein Nazi war. Alles wie immer in Österreich. Bloß keine Schuld eingestehen. Bloß keiner Verantwortung nachkommen. Erinnerungsverweigerung war und ist integraler Bestandteil der konservativ-österreichischen Identitätspolitik.

Wer entscheidet über wen?

In dieser Diskussion wird vor allem auf politischer Ebene – vermutlich auch ganz bewusst – ein wesentlicher Punkt gar nicht beleuchtet: Macht. Die Macht, darüber zu entscheiden, wer in dieser Stadt Raum bekommt und wer in dieser Debatte schließlich auch öffentlich geehrt wird. Es geht ja nicht nur um einen bürokratischen Prozess, sondern vor allem darum, dass Nationalsozialist*innen die Ehre erfahren, dass Straßen nach ihnen benannt sind und Menschen mit politischer Macht heute für den Erhalt dieser Straßennamen sehr vehement kämpfen. Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen von struktureller Diskriminierung, die in diesen Debatten de facto nicht stattfinden, obwohl gerade diese Stimmen eigentlich am stärksten hörbar gemacht werden müssten.

Auch deshalb fanden im Laufe der Zeit verschiedene Aktionen und Diskussionen um die Straßennamen und was mit ihnen passieren soll, statt. Denn nicht alle Menschen sind so d‘accord damit, Nazis Raum zu geben, wie es der Bürgermeister der Stadt Salzburg ist. Von einem Memory-Spiel im Dezember 2020, das ein Umdenken der Salzburger Erinnerungskultur forderte, über Podiumsdiskussionen zu Leon Kahanes Ausstellung „Les Drancéens“ in Salzburg im Juli und August, wo unter anderem Sashi Turkof, die Co-Präsidentin der Jüdischen Österreichischen Hochschüler*innen gemeinsam mit den Künstlern Leon Kahane und Eduard Freudmann über Erinnerungskultur, das Lueger-Denkmal in Wien und die Straßennamen in Salzburg diskutierten, wurden durch diese Projekte Räume geschaffen, in denen verschiedene Betroffene zu Wort kommen konnten. Dennoch wurden gerade diese Stimmen in der Medienlandschaft oder in politischen Diskussionen kaum bis gar nicht gehört. Und da sind wir wieder bei der Frage nach Raum, Macht und Sichtbarkeit.

Wieso sollte die Stadt Salzburg auch plötzlich Straßen, wie es beispielsweise in Frankreich durchaus gängig ist, nach Widerstandskämpfer*innen, oder gar nach BIPOC, nach Jüdinnen*Juden, nach Sinti*zze und Rom*nja, nach Menschen mit Behinderung, LGBTQ-Aktivist*innen oder anderen progressiven und/oder marginalisierten Personen oder Organisationen benennen, die sich konsequent gegen faschistische Strukturen positionierten, wenn sie sich auch für Nationalsozialist*innen entscheiden kann? Wieso sollte man Betroffenen zuhören und ihre Belange ernst nehmen, wenn man als alter, weißer, privilegierter cis-Mann sowieso nicht auf deren Stimmen angewiesen ist? Das Stichwort lautet historische Verantwortung, hat aber die Stadt Salzburg scheinbar noch nicht erreicht.

Wer wird gehört? Und wer gehört zu Salzburg? 

Es geht um viel mehr als „nur“ die endlich mehr als notwendige Entnazifizierung der Symbolwelt des öffentlichen Raums, es geht auch darum, dass jene Parteien und deren individuelle Mitglieder, die diese bisher verunmöglicht haben, sich endlich mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen und sich fragen müssen: Haben wir wirklich aus der Geschichte gelernt? Und wenn ja: Wieso handeln wir dann nicht dementsprechend? Es reicht nicht, Materialien zur Recherche für Bürger*innen online zur Verfügung zu stellen und dann so zu tun, als wäre damit die eigene Geschichte aufgearbeitet, während weiterhin Nationalsozialist*innen namentliche Erwähnung und damit schließlich Ehrung im öffentlichen Raum der Stadt Salzburg erfahren. Es geht darum, Raum neu zu denken und neu zu gestalten und endlich den Menschen, die zuvor systematisch unterdrückt, ausgegrenzt und deren Vorfahren schließlich in großen Teilen ermordet wurden, eine Möglichkeit zu geben, ihre Stimme zu diesen Belangen, die sie direkt betreffen, zu äußern. Es geht auch darum, ihnen endlich Sichtbarkeit und Repräsentation im Stadtbild zukommen zu lassen. Gerade die Diskussion um den Umgang mit und die Umbenennung von Nazi-Straßennamen böte sich hierfür mehr als perfekt an.

Am Ende der Diskussion stellt sich aber unabhängig von dem, was in Zukunft mit diesen Straßennamen geschehen wird, eigentlich nur noch eine Frage: Wo steht jemand eigentlich wirklich politisch, der bewusst für den Erhalt von Nazi-Straßennamen kämpft? 

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