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Eigentlich dürfte ich Liv Strömquist nicht so toll finden, denn schließlich hat sie mir mit ihrem neuesten Comic „Der Ursprung der Liebe“ wichtige Stunden, die ich eigentlich mit Seminararbeiten und ähnlichem verbringen sollte, gestohlen. Aber wo ein Eigentlich, da meist ein Aber – so auch hier.

Von Carolina Forstner

V or kurzem saß ich vor einem Kurs schon im Seminarraum und las wie gebannt Seite um Seite im Buch der Politikwissenschaftlerin und wichtigen Stimme des schwedischen Feminismus. Ein Kollege drehte sich um und fragte freundlich, aber sichtlich erstaunt, ob ich denn Comics lesen würde. Ich bejahte, klärte ihn kurz über den Inhalt auf und sobald mir das Wort Feminismus über die Lippen kam, sah ich ein kurzes Zusammenzucken in seinem Gesicht. Er fragte weiter: „Okay… aber da geht’s jetzt nicht um so Gender-Dings, oder?“

Kennt ihr Personen, die immer und überall eine schnittige und pointierte Antwort parat haben und ihr Gegenüber schneller entwaffnen können, als Lucky Luke seine Waffe zieht? Ich gehöre eindeutig nicht zu diesem eloquenten Menschenschlag. Sichtlich baff brachte ich nur ein: „Ähm…doch, also nicht direkt, aber…“ hervor. Der Kollege drehte mir nach kurzem Gespräch gleich wieder den Rücken zu, schließlich ist das Binnen-I ein Teufel, Gender-Dings, sowieso.

Weibliche Selbstbestimmung, Sexualität und Beziehungen umkreisen das Comic-Sachbuch Strömquists. Neben einem gut recherchierten Werk, das vor wissenschaftlichen Quellen und zitierten Studien schier überquillt, schafft es die Autorin mit Leichtigkeit, den Bogen zu popkulturellen Inhalten zu spannen – beginnt nicht schon auf den ersten Seiten eine Reise von der chinesischen „Viererbande“ der Kulturrevolution zu einem anderen Quartett – Tim Allen, Jerry Seinfeld, Ray Romano und Charlie Sheen, ihres Zeichens die vier bestbezahltesten Fernseh-Comedians der letzten Jahre. Über diese berühmten TV-Männer und deren Verhältnis zu Frauen (wer sich ein bisschen in der Fernseh- und Sitcomlandschaft auskennt, weiß, hier haben die Frauen an der Seite der Männer eigentlich nur die Funktion, sie mit ihren Zuneigungsbekundungen zu nerven) gerät Strömberg schnell zu den Wurzeln: Warum sich so viele Menschen in diesen Beziehungsdarstellungen wiedererkennen und gibt dem/der geneigten LeserIn gleich auf den ersten Seiten Nachdenkstoff mit. Über das eigene Großwerden in „heteronormativen Familiensystemen“, in denen die meisten Kinder aufwachsen und über die Geschlechterrollen, die die eigenen Eltern vielleicht in der Kindheit einnahmen. Auf wenigen Seiten seziert Strömberg ihre erste These heraus: Durch die unterschiedlichen, stereotypen Erziehungsansätze für Mädchen und Buben entwickeln beide Geschlechter unterbewusste Strategien, um sich in einer Welt zurecht zu finden, die Mädchen lernt, sich über ihre Beziehung zu Männern zu definieren und, plattes Beispiel, Männern untersagt, tiefe emotionale Bindungen einzugehen. Beide Geschlechter werden in Formen gepresst, die zufälligerweise „männlich“ und „weiblich“ als Aufschrift tragen. Ein Grund, warum wir mit den patriarchalen Strukturen in Two and a Half Men weniger Probleme haben, denn wir haben es ja schlichtweg nicht anders „gelernt“.

Strömberg erzählt ein kleines Stück Kulturgeschichte, beginnt bei nordischen Göttern und endet bei Britney Spears. Klingt nicht wirklich gehaltvoll, oder? Aber genau solche popkulturellen Referenzen finden wir „Millenials“ doch so geil. Wer jedoch denkt, dass Liv Strömberg hier plump Promigeschichten und feministische Maximen aneinanderreiht, irrt: Natürlich ist es kein wissenschaftliches Pamphlet über Geschlechterbeziehungen, aber der Comic mit dem Cover, auf dem die Köpfe von Charlie Sheen, Prince Charles und Diana in Seerosen abgebildet sind, will das auch gar nicht.
Der Ursprung der Liebe folgt Strömquists Erstling Der Ursprung der Welt, einem Comic über die Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechtsorgans und der Menstruation. Das Buch erhielt euphorische Rezensionen. Eine Zeichnung einer Eisläuferin, bei der man, oh Schreck, oh Schreck, Menstruationsblut zwischen ihren Beinen entdeckt, sorgte anscheinend für Irritationen in einer Gesellschaft, in der Menstruationsblut, so hat es uns die Werbeindustrie gelernt, blau zu sein scheint, ein wohl sehr tief eingebranntes Tabuthema ist: Das Bild der Eisläuferin, das Teil einer Wanderausstellung war, wurde in jeder Ausstellungsstadt zum Beschwerdethema und das blutbefleckte Höschen sogar übermalt.

9783945034897

Buch erhältlich beim avant-Verlag

In Der Ursprung der Liebe, das bereits 2010 erschien und jetzt aus dem Schwedischen übersetzt wurde, wird zwar nicht mit männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen und Körperflüssigkeiten „geschockt“, aber Liv Strömquist schafft es doch, ihre LeserInnen zu desillusionieren – und zwar über nichts anderes als die schon im Titel behandelte Liebe. Das ist an manchen Stellen nicht ganz so lustig und für VerteidigerInnen der romantischen Liebe nicht gerade leichte Kost, schließlich zeigt uns Strömquist in nur zwei Bildern auf, wie absurd „unsere“ heterosexuellen Beziehungskonzepte, in denen wir leben, sind. Sie arbeitet in einem Kapitel des Buches heraus, dass wir in unseren Paar-Beziehungen doch eigentlich immer nur stark ritualisierte Sozialkonstrukte reproduzieren – seien es Kosenamen oder Händchenhalten, alles um in der Außenwelt zu zeigen: Ja, wir sind ein Paar! Unser „Beziehungsverhalten“ bezeichnet Strömquist (beziehungsweise WissenschaftlerInnen, die sie in ihrem Werk als Quellen aufführt) als eine Art „Mini-Religion“, die in ihrer kleinen Solidargemeinschaft sozial erwünschte Rituale vollzieht. Harte Brocken für alle RomantikerInnen da draußen.

Warum verzehren sich Frauen nach der Bestätigung männlicher Zuneigung und werden mit emotionaler Kälte abgestraft? Warum stehen Zweierbeziehungen anno 2018 nur unter dem Stern exklusiver sexueller Treue? Das ist nur ein Bruchteil der Fragen, die Strömquist in ihrem Sammelsurium aus schwarz-weißen Bildergeschichten und wissenschaftlichen Theorien beantwortet.

Liv Strömquists Comic regt zum Nachdenken an und lässt LeserInnen nicht nur lernen, sondern auch lachen und versprüht am Ende sogar einen Funken Hoffnung für alle geschundenen Herzen da draußen.

Auf meiner Leseliste steht, nachdem ich Der Ursprung der Liebe an einem Nachmittag verschlungen habe, Strömquists bereits erwähntes Erstlingswerk Der Ursprung der Welt. Meine männliche Kommilitonenschaft soll gewarnt sein: Hier geht es nicht nur um Gender-Dings, sondern auch um das Unaussprechliche: Menstruationsblut.

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