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Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Der ideenlosen österreichischen Politik dient Hegemon Deutschland oft als Vorbild. Warum das für die Wissenschaft keine recht gute Idee wäre und was das mit dem sogenannten akademischen Prekariat zu tun hat, erklärt euch Christoph Würflinger.

Wenn der Staat keine Kohle herausrückt.

Foto: Tagebau im Ruhrgebiet – „So wird das österreichische Wissenschaftssystem bald aussehen, wenn nicht mehr Kohle kommt.“ (©Joeb07 (wikipedia), Braunkohletagebau Schleenhain)

Wenn der große Bruder Deutschland etwas macht, dann muss das gut sein. Das gilt in allen möglichen Bereichen des Lebens, das gilt auch in der Welt der Wissenschaft. Und so folgt man auch hier im kleinen Österreich der neoliberalen Buzzword-Rhetorik: Unsere Universitäten müssen „exzellent“ werden. Von „High Potentials“ ist die Rede, von „Spitzenforschung“ und „internationaler Wettbewerbsfähigkeit“ – als würden die heimischen WissenschaftlerInnen nicht ohnehin hervorragend forschen. Nein, JungwissenschaftlerInnen sollen die Ellbogen noch weiter ausfahren als bisher, damit sich wirklich nur die Besten der Besten der Besten durchsetzen. Was dann diejenigen machen, die nur zu den Besten oder zu den Besten der Besten gehören, ist den akademischen und politischen Schreihälsen egal. Sie können aus der Bequemlichkeit ihrer gut bezahlten Fixanstellung heraus fordern, was immer sie wollen. Die Konsequenzen für das Fußvolk interessieren sie nicht. Aber von vorne:

„Exzellenzinitiative“ – was ist das?

Bei der 2005/06 in Deutschland gestarteten Exzellenzinitiative handelt es sich um ein Förderprogramm, dessen Ziel ein verstärkter Wettbewerb zwischen den Universitäten war, um den Wissenschaftsstandort (und damit den Wirtschaftsstandort) Deutschland zu stärken. In der Theorie läuft das so: Verschiedene Universitäten bewerben sich um das Exzellenz-Etikett, werden von externen GutachterInnen bewertet und erhalten dann zusätzliche Mittel (oder eben auch nicht). Das wäre wohl kein so schlechtes Konzept gewesen, wenn es gleichzeitig auch insgesamt mehr Geld für die Universitäten gegeben hätte – vor allem angesichts steigender Studierendenzahlen. Auch die Auflockerung des stark auf die Professur ausgerichteten Systems wäre interessant gewesen.

Stattdessen wurde daraus aber der Wettbewerb unter den Universitäten erzwungen und der Professur als einzig unbefristeter Stelle ein Machtmonopol zugewiesen (wer keine fixe Stelle hat und sich zuerst einmal um die Absicherung der eigenen Existenz kümmern muss, tut sich üblicherweise schwer, einen aufwändigen Drittmittel-Antrag zu formulieren – zumal ein solcher ja auch abgelehnt werden kann). Aus dem US-System, das in puncto Wettbewerb als Vorbild diente, wurde aber nicht etwa die Norm einer über sechs Jahre finanzierten Promotion übernommen, sondern einzig der Elitegedanke, der sich dort in einer langen und kritikwürdigen Tradition miteinander konkurrierender Privatunis manifestiert.

Nun konnten sich die Hochschulen in jeder Antragsrunde erneut um dieses Exzellenz-Etikett bewerben, dieses aber auch wieder verlieren. Daraus ergibt sich ein erstes Problem: Was macht man mit den hervorragend ausgebildeten WissenschaftlerInnen, wenn das zusätzliche Budget verloren geht? Richtig: Man überlässt sie sich selbst.

Ein weiteres, viel grundlegenderes Problem war, dass dieser rein Drittmittel-orientierte Wettbewerb dazu genutzt wurde, Investitionen in die Ausstattung der Universitäten zu ersetzen. Anstatt zusätzlich zu einem festen Budget Mittel zur Verfügung zu stellen, die man an besonders förderungswürdige Projekte vergibt, wurde dieser Budgettopf in die Mitte gestellt, damit sich die finanziell ausgehungerten Unis darum prügeln, um überhaupt noch eine Ausstattung mit Forschungsbudget und befristeten Stellen zu bekommen. Diese Praxis bedeutet nicht nur eine erdrückende Bürokratie und durch abgelehnte Anträge massenhaft nicht-abgeschlossene Forschung, sondern auch eine Verschwendung von geschaffener Infrastruktur. Mit der Neuvergabe des Exzellenz-Etiketts liegen gerade erst neu eingerichtete Institutionen nämlich brach und müssen woanders neu aufgebaut werden.

Während man in Deutschland langsam aber doch erkennt, dass diese Exzellenzinitiative ein Fehlschlag war, werden in Österreich die Forderungen nach ihrer Einführung immer lauter. Oliver Vitouch, Präsident der Universitätenkonferenz (uniko) plädierte erst kürzlich für den „konsequenten Ausbau kompetitiver Instrumente“. Wie das laufen wird, kann man sich schon denken: Nicht-Erhöhung – also faktisch Kürzung – der Uni-Budgets und ein gnadenloser Kampf zwischen den verschiedenen Hochschulen um den Topf in der Mitte.

Drittmittelprojekte und ihre Folgen

Recht hat Vitouch natürlich, wenn er von einer „schmerzlich niedrigen Förderquote des Wissenschaftsfonds FWF bei den Einzelanträgen“ spricht. Sie liegt bei etwa 20 Prozent, das heißt nur jeder fünfte Antrag wird bewilligt. Das liegt allerdings nicht etwa daran, dass die restlichen 80 Prozent nicht gut genug wären. Nein, es ist einfach nicht genug Geld da. Egal wie gut ein Antrag sein mag, wer Pech hat, fliegt raus. Neben der persönlichen Frustration für WissenschaftlerInnen ist das auch volkswirtschaftlich gesehen großer Unfug. Es wird viel Geld und Zeit dafür verschwendet, ForscherInnen nicht mit Forschung zu beschäftigen, sondern mit Anträgen auf Forschung, die in vier von fünf Fällen abgeschmettert werden.

Entstanden ist dadurch ein nichtssagender Antragsjargon, der mit möglichst vielen leeren Worthülsen um sich wirft (einer davon ist die vielbeschworene „Interdisziplinarität“, ohne die ein Antrag heute chancenlos ist), sich mit zahllosen Literaturverweisen absichert und schon im Vorfeld brav die erwarteten Forschungsergebnisse angibt, um zu suggerieren, dass das Projekt schon übermorgen zu einer top-gerankten Publikation führt und damit statistisch verwertet werden kann. Statt Originalität und Innovation werden vorauseilender Gehorsam und monetäre und publikatorische Quantität belohnt. Publish or perish – veröffentlichen oder verlieren – ist das Motto. Lieber 50 mäßig interessante Beiträge in diversen Journals als eine anständige Monographie.

Doch abgesehen davon, dass die Förderquote erschreckend niedrig ist, stellt sich auch die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, den akademischen Nachwuchs mit solchen Hürden zu quälen. Gerne wird argumentiert, dass das eben die akademische Laufbahn sei: Man studiert, schreibt eine Dissertation, arbeitet dann eine Zeit lang im Rahmen von Projekten, habilitiert sich und übernimmt schließlich an irgendeiner Universität einen Lehrstuhl, wo man auf einer unbefristeten Stelle bis zum Ruhestand forscht und lehrt. Vor allem von ProfessorInnen hört man diese Erzählung. Vergessen sie etwa, dass der wissenschaftliche Kosmos einer Pyramide gleicht, an deren Spitze sie selbst stehen? Dass andere, weniger Glückliche früher oder später aus dem System ausscheiden müssen, obwohl sie ihre Sache gerne und gut machen? Denken sie daran, dass diejenigen, die sich in diesem erbitterten Konkurrenzkampf nicht durchsetzen können, dann irgendwo im Niedriglohnsektor arbeiten müssen, anstatt ihrer Qualifikation entsprechend Wissenschaft zu betreiben? Nur weil etwas schon immer so war, heißt das nicht, dass es auch immer so bleiben muss.

Lehre ohne Fixanstellung

Während sich NachwuchsforscherInnen von befristeter Stelle zu befristeter Stelle hangeln, steigt gleichzeitig der Bedarf an externer Lehre, also Lehre durch Personen, die nicht fest am jeweiligen Institut angestellt sind. Ohne externe LektorInnen wäre universitäre Lehre heute nicht mehr möglich. Im Gegensatz zu Deutschland sind solche Lehraufträge in Österreich zwar halbwegs anständig bezahlt, wie lange das noch so bleibt, ist allerdings fraglich. Einen ersten Vorstoß hat der Vizerektor gegen Lehre an der Uni Salzburg schon unternommen: Nicht alle Lehrveranstaltungen werden gleich bewertet. Angeblich – so das Argument – sei der Vorbereitungsaufwand bei gewissen Lehrveranstaltungen geringer als bei anderen Kursen, deshalb gibt es dafür jetzt auch weniger Geld. Aber das ist im Grunde nur eine Nebenfront eines viel größeren Problems: Der Staat weigert sich seit Jahren beharrlich, den Universitäten die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Wir befinden uns personaltechnisch in den meisten Fächern auf einem Stand, der für die Studierendenzahl der frühen 1990er gepasst hätte. Dass die Studierendenzahl seither um ca. 100.000 auf über 300.000 gewachsen ist, kümmert offenbar niemanden, und so muss das benötigte Lehrpersonal eben von außen zugekauft werden.

Anstatt in ordentlichen Beschäftigungsverhältnissen forschen und lehren zu können, müssen also immer mehr WissenschaftlerInnen jedes Mal aufs Neue um einen Lehrauftrag betteln. Wer Glück hat, bekommt eine befristete Projektstelle und kann die Existenzangst zumindest für ein paar Monate aufschieben. Manchmal knacken NachwuchsforscherInnen auch den Jackpot und bekommen doch irgendwie eine unbefristete Stelle bzw. eine Stelle mit Aussicht auf Entfristung (ein schreckliches Wort!) – carrot on a stick. Gegen dieses System aufzumucken, wagt kaum jemand, denn es könnte ja die Fixanstellung kosten; man duckt sich weg – vielleicht kommt man ja doch irgendwie durch.

Dazu kommt noch die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber den Zuständen an den heimischen Unis: 50 Leute im Seminar, na und? Wen interessiert’s? Dass bei mehr als 15 Studierenden sicherlich kein intellektuell ertragreiches Seminar herauskommen kann, sollte eigentlich klar sein. Es kümmert aber niemanden – nicht die Studierenden, die immer rasanter durch das Studium gepeitscht werden, damit sie möglichst bald „fit für den Arbeitsmarkt“ sind, nicht die ProfessorInnen, die man mit immer größeren Lehrverpflichtungen überfordert, auch nicht die externen Lehrenden, die froh sind, wenn sie überhaupt einen Lehrauftrag bekommen, und schon gar nicht die Regierung, die sich ins Fäustchen lacht, weil sie sich so Geld spart und weit und breit kein Widerstand gegen ihre Untätigkeit zu erwarten ist. Stattdessen die ewiggleichen dumpfen Forderungen nach Studiengebühren und Studienplatzbeschränkung – als wäre Bildung eine Krankheit, die es auszurotten gilt.

Alternative Entqualifizierung?

Welche Möglichkeiten hat nun der wissenschaftliche Nachwuchs? Im Großen und Ganzen beschränkt sich dessen Handlungsspielraum auf zwei Optionen: Entweder man läuft weiter im akademischen Hamsterrad und hofft auf ein Entkommen in die Fixanstellung – entweder an der Uni oder im staatlichen Sektor – oder man lässt es sein und geht „in die Wirtschaft“. Was einen dort erwartet – und das trifft vor allem die Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen –, ist die Entqualifizierung. Hochqualifizierte ForscherInnen, deren Ausbildung sich der Staat einiges kosten lässt, arbeiten dann als SekretärInnen, TaxifahrerInnen oder Callcenter-Agents. Eine Rückkehr in die wissenschaftliche Laufbahn ist damit quasi ausgeschlossen.

Wäre es da nicht schlauer, wenn die Regierung endlich ihr selbstgestecktes Ziel (zwei Prozent des BIP für die Unis) erfüllen würde? Dann hätten wir vielleicht bald akzeptable Verhältnisse in den Lehrveranstaltungen und mehr ordentliche Stellen und Perspektiven für NachwuchswissenschaftlerInnen. Studierende, NachwuchswissenschaftlerInnen und ProfessorInnen müssen endlich ihre Gleichgültigkeit überwinden und gemeinsam gegen diesen Un-Zustand auftreten, damit sich die PolitikerInnen nicht mehr länger vor ihrer Verantwortung drücken können. Der Staat muss endlich mehr Kohle für die Wissenschaft rausrücken!


FWF

Der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) ist in Österreich die zentrale Einrichtung zur Förderung der Grundlagenforschung. Eingereichte Projektanträge werden einem Peer-Review-Prozess unterzogen, wobei ausschließlich von ausländischen ExpertInnen begutachtet wird. Das Budget beträgt etwa 200 Millionen Euro (2015).

Drittmittel

Drittmittel sind jene finanziellen Mittel, die den Forschungseinrichtungen bzw. einzelnen ForscherInnen zusätzlich zum festen Budget von dritter Stelle zufließen. Sie werden in der Regel befristet für bestimmte Projekte oder Forschungsbereiche bereitgestellt. Drittmittel stammen nicht nur aus der Privatwirtschaft, sondern auch aus öffentlichen Einrichtungen wie z.B. dem FWF.

Externe Lehraufträge

Das Lehrprogramm einer Universität kann nicht nur von Lehrenden, die an der Uni angestellt sind, alleine abgedeckt werden. Dafür gibt es zu wenige Stellen. Stattdessen werden Lehraufträge an Personen vergeben, die nicht fix an der Hochschule angestellt sind. Für immer mehr WissenschaftlerInnen sind diese Lehraufträge die Existenzgrundlage – oft ein Leben lang.


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