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Aktivismus und politisches Engagement funktionieren immer öfter wie der Amazon-Algorithmus. Dieser schlägt einem, basierend auf getätigten Einkäufen, neue Produkte vor. Intellektuelle Betätigung und politischer Aktivismus gestalten sich ebenso: Wenn ich Position A gut finde, muss ich auch Position B gut finden. Wie sehr diese Denkfaulheit um sich greift, sieht man im Falle der „Palästina-Solidarität“.

Von Komitee gegen intellektuelle Verflachung

In den Nullerjahren erschien ein Bericht des österreichischen Verfassungsschutzes, in dem Interessantes zu erfahren war. Man stelle fest, dass es bei den Linksradikalen zu einer „intellektuellen Verflachung“ kommt und man sich dort zusehends auf Aktivismus konzentriere. Das hämische Grinsen des Beamten bei seiner Niederschrift kann man sich buchstäblich ausmalen, und dennoch traf er etwas Wahres. Theoriearbeit war in dieser Szene kaum vorhanden, und wenn, dann kreiste diese nur um die Bestätigung dessen, was man ohnehin bereits wusste. Gut zwanzig Jahre später kann konstatiert werden, dass sich diese besondere Art der Verblödung inzwischen weiter bis tief in die akademische Linke hineingefressen hat. 
 
Wenn sich irgendwo Unsinn breit macht, so lohnt es sich, die Wege des Absurden in Echtzeit bis zum eigenen Bannkreis zu verfolgen; Überraschungen sind so ausgeschlossen. Die Schlaueren unter den Blöden greifen in der Regel den Schwachsinn meist zuerst auf, gefolgt von den weniger Schlauen, and so on and so on, bis es endlich nach dem Prinzip des Trickle Down den hintersten Vernunftschatten dieser Erdkugel erreicht. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Wahn einer sogenannten und wirklich nur sogenannten „Palästina-Solidarität“ auch in Salzburg breit macht. Man konnte ursächlich sehen, wie sich junge Menschen an amerikanischen Universitäten, nicht mit einem demokratisch verfassten Staat, an dem soeben ein Massaker durch die Hamas begangen und hunderte über hunderte Menschen wahllos abgeschlachtet wurden, solidarisch erklärten, sondern umgekehrt Verständnis für den Aggressor hervorgebracht wurde, dessen offenes Ziel es ist, „from the river to the sea“ für ähnliche Verhältnisse zu sorgen, wie sie augenblicklich vom antidemokratischen, antifeministischen, homophoben Mullaregime im Iran durchgesetzt werden. Dass das nur mittels einer Vernichtung Israels durchgesetzt werden kann, scheint die „Palästina-Solidarität“ nicht weiter zu stören. Diese Empathielosigkeit von Teilen sich progressiv wähnender Linke gegenüber den Opfern des Hamas-Angriffs einerseits und die stillschweigende oder gar offene Verbrüderung mit reaktionären bis hin zu islamofaschistischen Kräften andererseits, ist für jene mit Restvernunft auf den ersten Blick verwunderlich, aber letztlich erklärbar. Im Folgenden soll versucht werden, Gründe anzugeben, wie man diesen ideologischen Spagat mit Hilfe universitärer (Bildungs-)Einrichtungen in die eigene Gehirnschale geparkt bekommt. 
 
Ursprünglich angetreten, um sich überschneidende Diskriminierungsformen zu erklären, verkommt das Konzept der Intersektionalität an den Universitäten zu einem didaktischen Einerlei, wo alles irgendwie mit allem zusammenhängt. Die Überwindung der Homophobie ist dann in dieser Logik irgendwie an die Befreiung Palästinas gekoppelt, ohne aber das auch nur jemals hinreichend begründet zu haben. Ist man für die Befreiung des einen, so muss man auch für die Befreiung des anderen sein. Denken wie der Amazon-Algorithmus. Leute, die dies denken, denken auch das. Und wenn man nur oft genug gedacht hat, wird es irgendwann schon stimmen.
 
 
Ein anderer Punkt, warum dieser Gleichklang zwischen Teilen der akademischen Linken und sogenannten „Israelkritikern“ herrscht, ist der gemeinsame Hass auf den Westen, auf Aufklärung und Moderne. Der Westen, und damit auch Israel, wird gleichgesetzt mit Imperialismus, Kolonialismus und Rassismus, so als ob andernorts das Paradies auf Erden schon verwirklicht wäre – bei genauerer Hinsicht trifft diese einfache Gleichsetzung auf Israel ohnehin nicht zu. ‚Postkoloniale Studien‘ könnten zeigen, und zeigen das vereinzelt auch, dass die Menschheitsgeschichte schon immer allerorts herrschaftsförmig durchdrungen war und ist und der Westen hier keine Ausnahme darstellt. Das rechtfertigt natürlich nicht das massenhafte Leid, das von ihm ausgegangen ist, wäre aber gerade in der Nachzeichnung dieses bis dato unmenschlichen Zustandes einer der Ausgangspunkte, diesen unerträglichen Status-Quo endlich insgesamt zu überwinden. Dass es dazu aber nicht kommt, hat mit dem nächsten Argument zu tun. 
 
Da an den Universitäten die postmodernen Lehren von Macht-Metaphysiker*innen wie Michel Foucault oder Judith Butler in Übermaß Einzug halten, kann dort auch über eine Überwindung des menschenunwürdigen Zustandes nicht nachhaltig nachgedacht werden. In ihren Theoriegebäuden werden nur mehr diskursive Macht-Knotenpunkte ausgemacht, von denen man entweder beherrscht wird oder man selbst in der glücklichen Lage ist, einem solchen anzuhängen und sich nur innerhalb dieser Koordinaten Veränderungen ergeben können. Am Herrschaftsprinzip selbst wird jedenfalls nicht gerüttelt, und das auch deshalb nicht, weil ein intellektuelles Durchdringen eines Problems, das befähigen würde, ein Übel tatsächlich aufzuheben und nicht nur zu verschieben, aufgegeben wird. Die Suche nach Wahrheit wird somit suspendiert und es regiert bei komplexer Ursachenforschung das subjektive Bauchgefühl, das nicht selten, egal welchen Rorschachtest man ihm auch vorhält, ausschließlich einen Juden zu erkennen vermag.
 
Diese antiemanzipatorischen kognitiven Meisterleistungen wurden nun also auch in Salzburg vollzogen, denn anders lässt es sich nicht erklären, warum beim Slutwalk am 28.9. in Salzburg auf einmal Palästinafahnen samt dazugehöriger Schilder auftauchten. Aber alles der Reihe nach. Bei Slutwalks handelt es sich um eine Form des feministischen Protests, der 2011 in Kanada seinen Ausgang nahm, aber mittlerweile in vielen Städten weltweit praktiziert wird. Slutwalks zielen darauf ab, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass allein die Täter verantwortlich sind, wenn es zu Übergriffen kommt, und dass Opfern, wie es in Medien und den dazugehörigen Kommentarspalten oft der Fall ist, keine Schuld gegeben wird. Ein Anliegen also, das durchwegs unterstützenswert erscheint. Von ein paar Teilnehmer*innen des Slutwalks wurde der Mixer eingepackt, um vor Ort Feminismus, Protest gegen Rape Culture und Victim Blaming mit leidlich subtiler „Israelkritik“ zu vermanschen.
 
Auf gebastelten Schildern waren israelische Soldaten zu sehen, die im Gazastreifen mit Unterwäsche posierten, die sie in den Häuserruinen vorfanden. Zweifellos primitives und sexistisches Verhalten, das mit nichts zu rechtfertigen ist. Interessant ist viel mehr, wie in Kombination mit den kurzen Texten auf den Plakaten versucht wird, diese Beispiele für die Anliegen des Slutwalks passend zu machen. Über einem der Bilder stand etwa „Täterschutz = Mitschuld“, auf dem anderen „Das ist Israel“. Auf diesem Weg wird Israel im ersten Schritt personifiziert und in einem Zweiten als das „Täterland“ innerhalb der Weltgemeinschaft markiert. Nicht nur redet diese krude Vereinfachung einem völkischen Nationalismus das Wort, der Länder und deren Bevölkerungen mit überzeitlichen und unveränderlichen Wesensmerkmalen ausstattet, sondern sieht in Israel einen notorischen Vergewaltiger. Damit greift man Motive auf, die zum zentralen Inventar des Antisemitismus des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts waren und sich später in den Schmierblättern der Nazis, allen voran im Stürmer, pausenlos finden ließen.
 
Zusammenhänge zu sehen oder diese, wenn ideologisch verblendet, aufzudecken, sollte das Kerngeschäft emanzipatorischer Gruppen oder auch Einzelpersonen sein. Dass es dabei ganz schön oft knirschen und krachen kann, wenn liebgewonnene Einsichten mit neuen abgeglichen werden müssen, liegt in der Natur der Sache. Das produktive Wahrnehmen dieser Widerborstigkeit ist nicht immer leicht und lustig, kann zu Verwerfungen im Freund*innenkreis führen, aber ist notwendiges Übel, wenn man die Welt besser verstehen will.
 
Bei Leuten, bei denen die „Israelkritik“ zur Identität gerinnt, wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Es erfolgt kein Abgleich von neuen und bestehenden Erkenntnissen, sondern unter den ontologischen Grundannahmen Israel = böse, wird alles, was so in der Welt vor sich geht, so hingebogen und zurechtgemacht, dass es diesem verstaubten und dichotomischen Denken genügt. So ist es nur folgerichtig, wenn man — wie in einem Instagrampost von voiceforpalestinesalzburg — postuliert, dass „[O]hne Ende von Besatzung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes keine Emanzipation der Frauen Palästinas. Ohne die Emanzipation der palästinensischen Frauen keine Emanzipation der Frauen weltweit“ möglich ist. Dass seit knapp zwei Jahrzehnten im Gazastreifen eine Partei an der Macht ist, die ihre rigide islamistische Auffassung davon, was Männer und Frauen dürfen, sollen und müssen, notfalls mit brutaler Gewalt unters Volk bringt, ist den Protestierenden keine Silbe wert. Stattdessen nimmt man eine bequeme Abkürzung und macht Israel zum Dreh- und Angelpunkt eines globalen Patriarchats. Das hat nichts mit Emanzipation oder gar Aufklärung zu tun. Mit einigem Wohlwollen mag man Leuten, die Derartiges in die Öffentlichkeit tragen, eine gewisse Denkfaulheit attestieren. Sieht man allerdings, wie systemhaft Israel verteufelt und zum Quell diversester globaler Missstände gemacht wird, liegt der Verdacht des Antisemitismus bedeutend näher.
 
 
 
 
 
 
 

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