Die Verkäufe der Scheibe mit den Rillen wuchsen 2016 auf den höchsten Stand seit 25 Jahren. Was Salzburger Studierende am Vinyl fasziniert und wie Brancheninsider diese Entwicklung einschätzen.
Von Christoph Mödlhamer.
Anfang des neuen Jahres verlautbarten Medien in mehreren europäischen Staaten, dass 2016 so viele Schallplatten verkauft wurden, wie dies seit den frühen 1990er-Jahren nicht mehr der Fall gewesen ist. Erstmals wurde im vergangenen Jahr, etwa in Großbritannien, mehr Geld durch den Verkauf von Vinyl als durch Musikverkäufe via Download eingenommen. Auch hierzulande zeigt sich ein vergleichbares Bild. Die Schallplatte erlebt ein Revival. Im vorigen Jahr wurden so viele Platten wie seit 20 Jahre nicht mehr verkauft. Auch große Elektrohandelsketten erkannten diesen Trend und nahmen Vinyl-Tonträger wieder in ihr Sortiment auf. Zwar macht Musik auf Schallplatte nur zwischen vier bis sechs Prozent der Gesamtverkäufe aus, jedoch stiegen die Verkaufszahlen in den vergangenen Jahren kontinuierlich um je 50 Prozent an. Der Umsatz durch Vinyl hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht und wuchs zuletzt 2016 auf rund 6,5 Millionen Euro. Analog abgenommene Musik, mit ihrem Knistern und dem ihr oftmals nachgesagten besseren Klang erlebt einen zweiten Frühling. Dabei von einer Retro-Revolution zu sprechen, wäre wohl zu viel des Guten. Das Wiederaufkommen eines alten Bekannten ist wenig revolutionär. Vielmehr passt auf diese Entwicklung der Begriff der Renaissance. Anfang der 1990er wurde der „Tod der Schallplatte“ durch die digitale CD verkündet. Damals wurden doppelt so viele CDs wie Schallplatten verkauft. Nun bangt die CD selbst, angesichts Streaming und Downloads, um ihre Existenz. Die Vinyl-Schallplatte erlebt zeitgleich ein Revival.
Von der Nische auf dem Weg in den Mainstream
Der Musikladen in der Salzburger Linzergasse gilt als Institution in Sachen Vinyl. Niemals, seit seiner Gründung in den frühen 80er-Jahren, fehlte die Schallplatte hier im Sortiment: „Wir sind selbst alle Musikliebhaber und Vinyl-Fans“ sagt Geschäftsführer Nicolas, der den jetzigen Trend als Bestätigung sieht. „Seit etwa fünf Jahren gibt es diese gesteigerte Nachfrage, aber auch das Angebot wurde größer. Viele KünstlerInnen bringen wieder auf Vinyl heraus.“ Mittlerweile verkauft er fast gleich viele CDs wie Schallplatten, die oft mit Download-Codes ausgestattet sind. „Die Jungen hören die Platten zuhause – für das haptische Erlebnis und den besonderen Klang. Für unterwegs haben sie dann die MP3s“ erklärt Nicolas. Für ihn hat das Revival viel mit Rückbesinnen zu tun: „Die Leute wollen wieder etwas Angreifbares. Sie wollen die Musik bewusster erleben und nicht nur konsumieren.“ Das intensivere Auseinandersetzen liegt in der Natur der Schallplatte, wie Nicolas erläutert: „Eine Platte hört man von vorne bis hinten durch. Dann muss man aufstehen und sie umdrehen.“ Es entsteht eine größere Wertschätzung der Musik als auch den KünstlerInnen gegenüber. Den/die typische/n Vinyl-KäuferIn gibt es im Musikladen nicht. „Es kommen alte LiebhaberInnen genauso wie Junge, bei denen das gerade ‚In‘ ist.“ Aber: „Wir verkaufen bereits fast jeden zweiten Plattenspieler an unter 30-Jährige“ schildert Nicolas. Einen weiteren großen Pluspunkt an der Schallplatte sieht Nicolas in der Langlebigkeit und den limitierten Editionen: „Anlässlich des Record Store Days kommen immer limitierte Platten raus, mit farbigem Vinyl und künstlerischem Cover. Es gibt auch High End Pressungen vor allem im Jazz-Bereich, die sich durch perfekten Klang auszeichnen. Da hat man das Gefühl, inmitten der MusikerInnen zu stehen.“ Die meistverkauften Platten 2016 waren übrigens im Musikladen Leonard Cohens „You Want it Darker“ und „Blue and Lonesome“ von den Rolling Stones.
Musik als haptisches Erlebnis und Ritual
Für den Sportstudenten Mario, der selbst Musik macht, hat der Griff zum Vinyl zwei Gründe: „Erstens will ich KünstlerInnen unterstützen. Zweitens stört mich, dass Musik zu einem Nebenprodukt verkommt“. Intensive Beschäftigung führt für ihn zwangsweise über die Schallplatte: „Durch das fast schon rituelle Vorbereiten des Plattenspielers und der Platte, das Knistern vor den ersten Noten, das richtige Einstellen der Anlage wird Musikhören zum eigenständigen Hobby“. Mario fasziniert, dass beispielswiese Queen die „A night in the opera“ 1975 aufgenommen haben und er 2017 eine Originalpressung – somit ein Stück Geschichte – in den Händen halten und abspielen kann: „Dann verschafft mir ‚Bohemian Rhapsody‘ noch mehr Gänsehaut, als ohnehin schon.“ Für ihn sind Platten Unterhaltung, die genutzt werden will, aber keine Wertanlage.
Chris, der Kommunikationswissenschaft studiert, vermisst bei Streaming und MP3s die haptische Komponente: „Es ist schon etwas anderes, ob man eine Festplatte mit X-Gigabyte MP3s, oder einen Kasten mit 100 Platten hat. Die künstlerischen Covers, koloriertes Vinyl, Text-Sheets – all das gibt es bei MP3s nicht“. Und: „Ein Headcrash bei der Festplatte und alles ist verloren“ sagt Chris, mit Verweis auf die Langlebigkeit seiner Sammlung, in der sich auch 50 Jahre alte Pressungen befinden. Auch beim Musikhören selbst unterscheidet sich die Schallplatte für ihn: „Platten hört man eher von vorne bis hinten durch – so soll es ja auch sein. Bei MP3s und auch CDs wird viel mehr Trackhopping betrieben oder nur einzelne Songs gehört. Das Album als Gesamtkunstwerk leidet darunter.“
XXX-Student Michael besitzt zwar (noch) keinen Plattenspieler, sammelt aber trotzdem gerne. Für ihn sind Platten im Vergleich zur CD, die mehr einem Wegwerfprodukt ähnelt, etwas Wertvolles. Durch Streamings und digitale Downloads wird Musik seiner Meinung nach immer mehr zur Konsumware: „Menschen, die Musik richtig schätzen wollen, weichen lieber auf ein hochwertiges Medium aus, anstatt die Lieder in 128kbp/s im Stream zu hören.“ Das momentane Vinyl-Revival erklärt sich Michael so: „Vinyl ist halt einfach geil. Das spricht sich wohl auch immer mehr herum.“
Erziehungswissenschafterin Laura schätzt die Beständigkeit der Schallplatte. Am liebsten geht sie in Second Hand Läden oder Flohmärkte, um nach Vinyl zu stöbern. Die Haptik ist ihr sehr wichtig: „Ich finde es schön, die Musik, die ich besitze, in der Hand halten zu können.“ Aber nicht alles ist gut am momentanen Wiederaufleben der Schallplatte: „Der jetzige Hype ist ein bisserl ein Hipster-Phänomen. Es ist gerade cool, Schallplatten zu kaufen, also machen es viele. Einerseits finde ich es gut, weil jetzt viele neue Alben auch auf Vinyl rauskommen. Andererseits nervt der Hype, weil es die Plattenpreise in die Höhe treibt.“
Medien sterben nicht
Verdrängt wurde die Schallplatte nie völlig. DJs, DJanes und NostalgikerInnen hielten ihr immer die Treue. Einst Standard-Tonträger, wurde sie in dieser Funktion abgelöst. Aber frei nach dem (nicht unumstrittenen) Riepl’schen Gesetz von 1913 – benannt nach dem deutschen Journalisten und Altphilologen Wolfgang Riepl – werden bewährte Medien nicht durch neu aufkommende ersetzt. Sie beziehen neue Nutzungsnischen und Anwendungsgebiete. Der guten alten Vinyl-Schallplatte ist dies gelungen. Heute ist die Schallplatte vielmehr ein Sammlerstück; ein Objekt der Begierde, dem auf Flohmärkten nachgejagt wird; ein Tonträger, der modernen Trends zum Trotz entschleunigt; das Musikhören aufwertet und ritualisiert sowie durch seine Makel sympathisch wirkt.