Ein offener Brief an mein Ich von vor einem Jahr
Am 1. Oktober 2021 sind die ersten Teile der Novelle zum Universitätsgesetz (kurz: UG-Novelle) in Kraft getreten. Was offiziell der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses dienen sollte, ist allerdings für viele Jungakademiker*innen in eine karrieretechnische Katastrophe ausgeartet. Dieser Anlass hat sogar die unter gehörigem Zeitdruck stehende Autorin dieses Artikels dazu getrieben, ein paar wertvolle, nunmehr unwiederbringlich verlorene Stunden ihrer Dissertationsphase zu opfern, um sich das mit der Jobwahl – rein theoretisch – noch mal anders zu überlegen.
Von einer Doktorandin an der Uni Salzburg*
Liebes Ich,
ich weiß, Anfang 2021 hattest du noch große Hoffnungen und hohe Erwartungen. Ganz genau vor 365 Tagen bist du zusammengekauert in deiner verdunkelten Einzimmerwohnung gesessen, um dich herum verstreut diverse Wälzer und Mitschriften von der allersten STEOP-Minute bis zur Gegenwart, und hast gelernt, bis die Sonne wieder hinter dem Gaisberg auftauchte. Geschrieben, gepaukt, gerätselt, manchmal auch schon vor Verzweiflung gelacht oder dich völlig erschöpft auf dem Boden zusammengerollt. Aber immer auch gespürt, dass es der richtige Weg war.
Denn dabei hattest du immer nur ein Ziel vor Augen: Du wolltest in die Wissenschaft gehen. Seit dem Tag, als du versehentlich und drei akademische Viertelstunden zu spät in die Vorlesung über die Wechselwirkung von Musik und dem Heilungsprozess psychischer Störungen** gestolpert warst, wusstest du ganz genau, dass das DEIN Thema war. Du hättest dein gesamtes nicht vorhandenes Erspartes ausgegeben, um Teil dieses angekündigten Forschungsprojekts zu werden, das irgendwann um die Jahrzehntewende… 2021 oder so, bis dahin sind es ja noch einige Jahre… starten sollte.
Und jetzt, liebes 2021er-Ich, warst du kurz davor, diesen Traum in Erfüllung gehen zu lassen. Nach zwei Jahren Studienassistenz am Fachbereich Psychologie und mit einem Einsnullerschnitt hattest du unter Beweis gestellt, dass du das Zeug zur Promotion hast. Am 1. März sollte es losgehen – mit dem Projekt, mit deinem Doktorat und einem zusätzlichen Lehrauftrag, weil man bei Salzburger Mietpreisen allein von 15 bewilligten Projektwochenstunden dann doch nicht leben kann. Die letzte Hürde vor diesem neuen Abschnitt war die Masterprüfung, die du dann aber – wie von niemandem anders erwartet – nach einer Stunde fachwissenschaftlichem Monolog mit Auszeichnung überstanden hast.
Damals konntest du ja noch nichts ahnen. Natürlich: Darüber, dass die Projektlaufzeit erst mal nur auf drei Jahre begrenzt ist und du dir deshalb bei der Absolvierung deiner Kurse und dem Verfassen der Doktorarbeit keine länger andauernden Beziehungsprobleme, Krankheiten oder anderweitige Durchhänger leisten kannst, warst du dir schon von Beginn an im Klaren. Daher hast du auch die Disposition schon im ersten Semester geschrieben, vorgestellt und eingereicht, so schnell wie möglich mit der Datenerhebung begonnen und auch deine gesetzlich vorgegebenen Projekturlaubszeiten dafür genutzt, jeden einzelnen Tag irgendwas an der Diss weiterzubringen. Trotzdem war irgendwie auch von vornherein klar, dass sich der Plan nicht so ganz ausgehen würde, denn wie in so vielen Fällen entpuppten sich deine Forschungsfragen schon im Laufe der ersten Monate als weitaus ergiebiger als anfangs angenommen. Und nur an der Oberfläche bleiben wolltest du doch nie, das wäre auch nicht im Sinne der Wissenschaft. Die Hoffnung liegt also auf der Bewilligung eines Nachfolgeprojekts, für das der Projektleiter derzeit gerade einen Antrag schreibt.
Im zweiten Semester, das mit besagtem 1. Oktober 2021 begann, dann leider die Hiobsbotschaft: Es gibt da jetzt diese UG-Novelle, die (Jung-)Wissenschaftler*innen, die in vielen Fällen ohnehin bis zur Professur in prekären Arbeitsverhältnissen angestellt sind, das Leben noch um einiges schwerer macht. Und eine Professur erhält man vielleicht mit etwa 40 Jahren, wenn alles gutgeht und man neben einer 60-Stunden-Woche auch zu diversen Umzügen bereit ist, wobei womöglich auch noch eine junge Familie mitmuss oder aber man lange Pendelzeiten zu seinem Partner auf sich nimmt. Genau diesem Prekariat sollte ein Teil der Novelle Abhilfe schaffen – zumindest in der rein theoretischen Lebenswelt ihrer Erfinder*innen. Da sollte sich eine Universität nämlich möglichst bald dafür entscheiden, ob sie eine*n Mitarbeiter*in aufgrund exzellenter Leistungen hält und ihm einen unbefristeten Vertrag anbietet, oder aber ob diese*r nach acht Jahren in befristeten Verträgen auf Lebenszeit nicht mehr an der gleichen Uni beschäftigt sein darf. So weit, so gut und unrealistisch – denn wie dann plötzlich all diese unbefristeten Stellen für die sicherlich große Zahl an exzellenten Mitarbeiter*innen finanziert werden sollten, diese Frage hatte man offenbar immer wieder vertagt und irgendwann wohl entnervt aus den Tagesordnungspunkten gestrichen.
Nach dem Masterabschluss nur acht Jahre an der Uni Salzburg arbeiten zu dürfen, das bedeutet für dich, das dreijährige Forschungsprojekt abzuschließen, vielleicht in einem fünfjährigen Nachfolgeprojekt weiterzuarbeiten und während dieser Zeit das Doktorat abzuschließen. Und dann? „Eine unbefristete Stelle bekommen“, würde der gutgemeinte Rat der UG-Novellen-Neuschöpfer*innen lauten, nur ist da ein kleiner Haken an der Sache, denn unbefristete Stellen sind eben Professuren, und für eine solche muss man sich habilitieren, wofür man früher mindestens sechs Jahre brauchte. Dein eigener Betreuer etwa hat die Venia docendi mit 38 bekommen. Aber warte mal – du wirst realistischerweise erst nach vier bis fünf Jahren mit der Habilitationsschrift beginnen können, d.h. es bleiben nur noch vier bis drei bis zum Ende der Frist, was wiederum bedeutet… Du wirst dein Ziel vielleicht nicht haushoch, aber jedenfalls garantiert verfehlen. Denn, wie du weißt: Anders als früher genügt es nicht mehr, eine Zeit lang auszusetzen, sondern du darfst dir gleich eine andere Stadt mit Uni und passender Stelle (die es natürlich erst mal zu finden und zu bekommen gilt) als zukünftigen Wohn- oder Pendelort suchen. Wie gut, dass du ohnehin keinen Kinderwunsch hast, nur ob deine Freundin das auch mit ihrer zukünftigen Arbeit verbinden können wird, das steht natürlich in den Sternen. Vielleicht sagt nicht nur die Uni, sondern auch noch jemand anderer zu dir mit Mitte Dreißig: Du kannst jetzt deine Sachen packen.
Und, liebe naive 25-jährige Noch-Master-Studentin von vor einem Jahr, glaub bitte nicht, dass du von Anfang an ganz problemlos an diese Informationen gelangen wirst. Zuerst wird es in Besprechungen nur heißen, irgendwas sei mit den akademischen Zukunftsperspektiven offenbar noch weniger in Ordnung als jemals zuvor, dann gibt es schließlich eine Krisensitzung und jede*r einzelne Teilnehmer*in wird davon berichten, dass ihr*m von verschiedenen Seiten Unterschiedliches über die eigene Zukunft erzählt hat. Du selbst wirst zu dem Zeitpunkt schon mit zig Unibediensteten regen Telefon- und E-Mail-Verkehr gepflegt haben – nur um von fünf Leuten drei unterschiedliche Informationen zu bekommen, die vor allem eines ganz eindeutig zeigen: Irgendwie hat hier noch niemand eine wirkliche Ahnung davon, was die UG-Novelle für die verschiedenen Anstellungsverhältnisse bedeutet. Leider drängt zugleich die Zeit für die Betroffenen selbst, denn die Planung der nächsten Semester sollte eigentlich schon abgeschlossen sein. Doch wenn die Annahme eines zusätzlichen Lehrauftrags – bei mir etwa eine einkommenstechnische Notwendigkeit – bedeutet, dass man sich zugleich die erlaubte Arbeitszeit an der Uni verkürzt, überlegt man sich das natürlich zwei Mal. Ein Hohn am Rande: Wenn man durch eine anderweitige Hauptbeschäftigung 3300€ verdient, braucht man sich bei Lehraufträgen keine Sorgen zu machen.
(Mittlerweile ist zumindest eines klar: Von der Universität finanzierte Dissertationsstellen mit vier Jahren zählen nicht zur Gesamtzeit, die Mitarbeit in Projekten allerdings schon. Warum letztere Gruppe offenbar keinen so großen PLUSpunkt für die Forschung darstellen sollte wie die Leute, die zufälligerweise über das Globalbudget finanziert werden, konnte bis dato noch nicht geklärt werden.)
Sorry, liebes Ich, falls du dir unter deiner Zukunft an der Uni was anderes vorgestellt hattest. Vielleicht kannst du ja irgendwann in der Zeit zurückreisen und dich von Anfang an neuorientieren, der MultimediaArt-BA an der FH hätte dich mit 18 ja auch ziemlich interessiert. Aber wie es derzeit mit der Förderung der Wissenschaft aussieht, dürfte auch die Produktion funktionstüchtiger Zeitreisemaschinen noch länger auf sich warten lassen.
* Nachdem hier nicht ein Einzelschicksal im Vordergrund stehen soll, sondern das beschriebene Problem österreichweit sämtliche befristet angestellten Unimitarbeiter*innen betrifft, zieht es die schreibende Person vor, anonym zu bleiben. Außerdem kann man nie wissen, wo die universitäre Intrige überall lauert.
** Aus ebendiesen Gründen wurde auch der Forschungsgegenstand der Schreiberin verfremdet.