Geschichten, die in einer möglichen Zukunft spielen, thematisieren implizit immer auch Probleme ihres Entstehungszeitraums und spitzen diese oft zu. In den meisten Fällen behandeln derartige Visionen negative Auswirkungen auf die Menschheit. Doch auch utopische Darstellungen offenbaren im Laufe ihrer Handlung oft einen dystopischen Charakter. Es ist daher kein Wunder, dass derartige Narrative den Hauptbestandteil der Science-Fiction bilden, die als eines der am stärksten politischen kulturellen Genres gilt. Dabei ist der Spielraum dystopischer Erzählungen groß und kann neben wissenschaftlichen Ausprägungen auch politisch, sozial oder medial verarbeitet werden. Entsprechend dieser Prämisse haben wir versucht, unterschiedliche Aspekte dieses narrativen Musters in der Auswahl unserer Filmempfehlungen abzudecken – die gerade in diesen unsicheren Zeiten öfter näher an einer (überspitzten) Realität sind, als dass sie vollkommen abwegig wären.
Von Hannah Wahl und Bernhard Landkammer
THX 1138 (USA, 1971)
George Lucas erster Spielfilm wird zu den einflussreichsten Science-Fiction-Werken im “New Hollywood” gezählt. Bei seinem Kinostart 1971, vor Lucas‘ Durchbruch mit „Star Wars“, war „THX 1138“ kein Kassenschlager. Treffend formulierte George Lucas in der Doku „George Lucas Maker of Films“ treffend: “Filme machen ist eine Kunst; Filme verkaufen ist ein Geschäft.” Bei den Kritiker*innen und auch bei uns schneidet das eindringliche Kunstwerk aber sehr positiv ab: Mit seiner klaren und bedrohlichen Visualität und der schnörkellosen aber äußert zweckdienlichen Storyline hat Lucas ein futuristisch-dystopisches Opus geschaffen, das mit mittlerweile etablierten Dystopie-Motiven arbeitet und Fragestellungen in Bezug auf Freiheit, Willen, Überwachung, Totalität und fortschreitender Technisierung thematisiert. In der von Lucas entworfenen Zukunft leben die uniformen Bewohner*innen einer modernen, technisierten und automatisierten Anlage unter der Erde. Alle Gefühle, die sie von ihrer Effizienz ablenken können, wie Liebe, Freiheitswille oder Unrechtsempfinden, wurden den Menschen, die nur mehr Nummern statt Namen tragen, durch zwanghafte Medikation entzogen. In einer totalitären Gesellschaft, in der Liebe und Sex als abartige Perversion gelten und Individuen in der gefühlstauben Sterilität die Existenz entzogen wird, inszeniert Lucas eine sehenswerte und durchwegs spannende Liebes- und Fluchtgeschichte.
Perfect Sense (UK, 2011)
Menschen brechen weinend zusammen, danach ist ihr Geruchssinn verschwunden. Über die ganze Welt verstreute Einzelfälle nehmen stetig zu, ein unerklärbarer Virus breitet sich aus. Auf einmal setzt bei den Infizierten Heißhunger ein und ihr Geschmackssinn verschwindet – eine Heilung ist nicht in Sicht. “Perfect Sense” nutzt diese Dystopie als Rahmenhandlung, stellt allerdings den Umgang damit in den Mittelpunkt. Intensiv und nah fotografiert sowie von klassischer Musik unterlegt, erfolgt das auf persönlicher Ebene anhand der Liebesgeschichte zwischen den von Ewan McGregor und Eva Green verkörperten Protagonist*innen. Verwackelte, bewusst amateurhafte Bilder von Ereignissen rund um den Globus zeigen allerdings auch einen zunehmenden sozialen Zusammenbruch. Der Versuch, trotz Ungewissheit und Auflösung von Ordnung Normalität und Struktur zu bewahren, stellt einen sozialen wie systemischen Kommentar dar. Eindeutige Antworten lässt der Film bewusst im Dunkeln, stellt aber wichtige Fragen zu gesellschaftlichem Handeln, was gerade in Zeiten von Corona eine schockierende Aktualität besitzt.
Wall·E (USA, 2008)
“Der Letzte räumt die Erde auf” lautet der Zusatztitel zum computeranimierten Abenteuer rund um den kleinenRoboter Wall·E, der auf einer von Kapitalismus und Massenkonsum zerstörten Erde seiner Aufgabe nachkommt und den durch die Menschheit verursachten Müll aufräumt. Die Bewohner*innen haben sich schon vor 700 Jahren aus dem Staub gemacht und sich in autarken Raumschiffen niedergelassen. Als der sammelwütige Roboter nach langer Einsamkeit Bekanntschaft mit EVE, einem schneidigen modernen Roboter, der auf der Erde nach organischen Leben sucht, macht, kommt Tempo in die Erzählung. Denn bei einer Suchaktion findet dieser tatsächlich eine Pflanze in Wall·E´s kleinem Museum. „Wall·E“ ist eine niedliche Roboter-Romanze, verschmolzen mit warnender Gesellschaftskritik und Dystopie. Besonders viel Spaß machen auch die zahlreichen popkulturellen Referenzen, u.a. auf Klassiker wie „2001: A Space Odyssey“ (1968 / Stanley Kubrick), „Star Wars“ (1977 / George Lucas) oder „Alien“ (1979 / Ridley Scott).
Battle Royale [orig.: Batoru rowaiaru] (Japan, 2000)
Der Versuch, die Rebellion von Heranwachsenden systemisch zu unterdrücken, hat sich zu einer gesellschaftlichen Konstante entwickelt. Dieses Themas nimmt sich auch der moderne japanische Klassiker “Battle Royale” an, indem er Kontrollwut ins Perverse überspitzt. Um rebellische Schuljahrgänge zu disziplinieren, wird jedes Jahr eine Klasse auf einer verlassenen Insel ausgesetzt und dort zu einem Spiel um Leben und Tod gezwungen: Die Jugendlichen müssen sich gegenseitig töten, bis nur noch eine Person übrig ist. Während die stark von diesem Narrativ beeinflusste Hunger-Games-Reihe in einer karikierten Welt spielt, ist das Bedrückendste an “Battle Royale” neben seiner radikalen Gewaltdarstellung seine realistische Charakterzeichnung. So dienen die unschuldigen Liebesgeschichten der Kinder als krasser Kontrast zur deren stetig anwachsender Verrohung. Ein sadistisch-lethargischer Takashi Kitano in der Rolle des Spielleiters betont auf der anderen Seite die fatalen Konsequenzen unterdrückter Emotionen. “Battle Royale” ist kein Film für Zartbesaitete, aber eine schonungslose Abrechnung mit patriarchalen Strukturen.