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Inklusion muss im Hier und Jetzt geschehen

In ihrem im Leykam Verlag veröffentlichten Buch „Radikale Inklusion“ leistet Hannah Wahl wichtige Aufklärungsarbeit über den Mangel an Inklusion in unserer modernen Gesellschaft. Dies ist ein Plädoyer für die Inklusion und gegen die systematische Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Das Buch ist auch in einfacher Sprache auf der Seite des Verlags kostenlos verfügbar.

von Viktoria Bell

Hannah Wahl zeigt in ihrem Buch „Radikale Inklusion“ Missstände in unserer Gesellschaft auf, indem sie sie konkret anspricht. Außerhalb von wissenschaftlichen und pädagogischen Kreisen bekommt das Thema nämlich wenig Aufmerksamkeit. Würde man sich die Sache nur auf Papier ansehen, könnte man meinen, Inklusion herrsche bereits überall: Österreich hat 2008 die Behindertenrechtskonvention unterschrieben und hält dich daran, sodass alle gleichberechtigt sind. Doch leider ist dies nicht der Fall. Eher gegenteilig, denn wie Hannah Wahl schreibt, wurde Österreich erst kürzlich von dem UN-Fachausschuss für seine Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen kritisiert. 

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein internationaler Vertrag, der darauf achtet, dass die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen gewährleistet und geschützt werden. Es geht hier also nicht darum, dass Menschen mit Behinderungen irgendwie besonders hervorgehoben werden wollen, sie wollen lediglich wie normale Personen behandelt werden mit dem Schutz der grundlegenden Menschenrechte. Augenscheinlich werden jene in Österreich (und Deutschland) nicht berücksichtigt. Seit der Ratifizierung in 2008 hat sich nicht viel getan. Auch kein Wunder, denn Konservative wollen den Status quo beibehalten. Hannah Wahl klärt darüber auf, in welchen Bereichen noch Verbesserung gemacht werden kann. 

Systematische Ausgrenzung 

Menschen mit Behinderungen leben abgesondert vom Rest der Gesellschaft. Sie besuchen Sonderschulen, in denen sie mit Sonderpädagogik konfrontiert werden. Der Eintritt in die Arbeitswelt ist schwierig, da sich viele Unternehmen weigern, Personen mit Behinderungen einzustellen. Aus diesem Grund ist die Arbeitslosenrate in dieser Bevölkerungsgruppe besonders hoch. Sollten sie aber eine Arbeit finden, ist dies ein besonderer Arbeitsplatz mit wenig Substanz, der eher einer Beschäftigungstherapie ähnelt. Dabei bekommen sie oft kein normales Gehalt, sondern Taschengeld. 

Es ist also sehr schwierig, mit Menschen mit Behinderungen überhaupt in Kontakt zu treten, da sie einer able-bodied person im normalen Alltag eher nicht über den Weg laufen. Dies schürt natürlich Vorurteile und Stigmatisierungen. Würde man Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft eingliedern, würden sie als normal angesehen und weniger zum Opfer von Diskriminierung werden. 

Aus diesem Grund ist die Medienrepräsentation von Menschen mit Behinderung wichtig, da sie in der Gesellschaft so gut wie unsichtbar sind. Leider ist diese so gut wie gar nicht vorhanden. Wenn sie thematisiert werden, dann ist das meist aus einer medizinischen oder karitativen Perspektive und weniger als Person, die halt auch ihr Leben lebt. 

Behindert sein – behindert werden 

Ein weiteres großes Thema, das Hannah Wahl anspricht, ist die fehlende Barrierefreiheit. Man muss sich einmal vorstellen, man möchte in ein Restaurant oder in eine Kultureinrichtung gehen. Aber man kommt nicht rein. Nicht, weil kein Tisch mehr frei ist oder weil man keine Tickets mehr bekommen hat, sondern weil der Zugang physisch nicht möglich ist, wenn es keine Rollstuhlrampe gibt. 

So etwas verstößt ganz klar gegen den Artikel 27 der Menschenrechtsverordnung: „Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben […]“. Aber leider ist das Gegenteil der Alltag vieler Menschen mit Behinderungen. 

In den meisten Fällen passiert eine physische Ausgrenzung nicht aus Bösartigkeit, sondern weil Architekt:innen, Stadtplaner:innen oder Inhaber:innen von Veranstaltungsorten schlichtweg vergessen, einen behindertengerechten Zugang zu schaffen. Es handelt sich hierbei um ein institutionelles Problem – Menschen ohne Behinderungen sind sich ihres Privilegs meistens gar nicht bewusst und ihnen muss durch die Inklusion von Personen mit Behinderungen in Medien und Gesellschaft klar gemacht werden, dass jene ebenfalls problemlos am öffentlichen Leben teilnehmen wollen.

Bevormundung

Die Bevormundung ist ein weiterer zentraler Aspekt, der die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen verdeutlicht. Man wird nicht ernst genommen, auch wenn man erwachsen ist. Das passiert einerseits auf der persönlichen Ebene, denn Menschen mit Behinderungen sind die ganze Zeit damit konfrontiert, dass sie unterschätzt werden oder dass Leute darüber erstaunt sind, wenn sie beispielsweise einkaufen gehen. Aber es passiert auch auf institutioneller Ebene. Wie bereits erwähnt, bekommen viele Menschen mit Behinderungen oftmals keinen eigenen Lohn, sondern nur ein Taschengeld. Das macht es extrem schwer, unabhängig zu sein. Man kann nicht ausziehen, man ist ewig an die Eltern gebunden. 

In Deutschland ist die Situation noch prekärer – Pflegebedürftige dürfen nicht mehr als € 798 (+ Miete) verdienen und nicht mehr als € 2600 am Sparbuch haben, da sie ansonsten die staatlichen Kosten für die eigene Pflege übernehmen oder sich zumindest beteiligen müssen. So kann man als Mensch mit Behinderung keinen Bausparvertrag oder Lebensversicherung abschließen, man kann nicht erben oder für die Kinder etwas ansparen und wenn man heiratet, wird die Einkommensgrenze auf den:die Partner:in übertragen. Entmündigung und Armut sind vorprogrammiert.

Hannah Wahl nennt als Beispiel für Entmündigung die Altersheime, eine sehr treffende Beschreibung der Problematik. Man kann nicht selbst über den eigenen Tagesablauf entscheiden. Man kann nicht darüber bestimmen, wann oder was man isst. Auch wann man sich wäscht oder ins Bett geht, ist von anderen bestimmt. Die Personen in den Altersheimen müssen sich an den getakteten Plan der wenigen Pflegekräfte halten. Jegliche Sonderwünsche werden missmutig aufgenommen.  

Schluss: 

Summa summarum kann man sagen, dass Hannah Wahl verständlich über die dringende Umsetzung der Inklusion aufklärt. Das Buch liest sich sehr leicht, denn der Schreibstil ist flüssig und das Buch generell sehr kompakt. Man lernt viel, ohne sich großartig anstrengen zu müssen. Inklusion muss im Hier und Jetzt geschehen. Wir haben vor fast 20 Jahren die UN-Konventionen unterschrieben, aber nicht ansatzweise eine inklusive Gesellschaft erreicht. 

Infobox

Buch von Hannah Wahl

Wahl, H. (2023). Radikale Inklusion. Ein Plädoyer für Gerechtigkeit. Graz/Wien: Leykam Verlag. 

Reportage von Planet Wissen 

Planet Wissen. (2015). Behindert sein oder behindert werden?. WDR vom 29. Mai 2015.

Weiteres Buch zu Inklusion: 

Aguayo-Krauthausen, Raúl. (2023). Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden. Hamburg: Rowohlt Verlag.

UN-Behindertenrechtskonvention: 

Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. (2008). Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. In: BGBl. III (155). Wien: BMSGPK. Online verfügbar unter https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=19

Menschenrechtserklärung:

UN. (1948). Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Resolution der Generalversammlung. In: Generalversammlung. Dritte Tagung. A/RES/217 A (III). Online abrufbar unter https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf.

Bildtext: Hannah Wahls Plädoyer für die Gerechtigkeit

https://unsplash.com/de/fotos/vofmJUVScDE

Quelle: Elevate. 01. Oktober 2019. Online unter https://unsplash.com/de/fotos/vofmJUVScDE.

Letzter Zugriff am 01.04.2023 

Bildtext: Personen mit Behinderungen sind normale Menschen und wollen auch so behandelt werden. 

https://unsplash.com/de/fotos/ju1yFZkrxVg

Quelle: Daniel Ali. 15. September 2020. Online unter https://unsplash.com/de/fotos/ju1yFZkrxVg.

Letzter Zugriff am 01.04.2023

Bildtext: Nicht alle Einrichtungen in Österreich sind barrierefrei.

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